An Board des Projekts “Schwimmend um die Welt”
Was ich am Reisen besonders liebe, ist ungewöhnliche Menschen zu treffen. Einer, der definitiv in diese Kategorie fällt, ist Dr. Javier Rius – ein Spanier, der nicht nur Weltenbummler, sondern vor allem auch ärztlicher Betreuer der US-Kraulerin Jennifer Tigge ist, die eine Mission hat: Die Ozeane rund um den Globus zu überqueren – schwimmend, wohlgemerkt. Dr. Rius steht tripwolf Rede und Antwort und erzählt davon, was es heißt, seine Träume zu leben…
Dr. Javier Rius unterstützt Schwimmerin Jennifer Figge ärztlich auf ihrer Mission, als erste Person die Welt zu umschwimmen. Foto: Javier Rius
tripwolf: Javier, wie bist du zu Jennifer Figge und ihrem Projekt gekommen? Und wie lange arbeitest du schon für sie?
Javier: Im September 2009 wollte ich per Boot nach Amerika kommen – und die kanarischen Inseln sind wegen des Winds zu der Zeit ein guter Platz, um ein Schiff dafür zu finden. Viele europäische Segelboote nehmen in diesen Monaten dieselbe Route nach Südamerika. Also habe ich mein Foto in allen Häfen von Teneriffa aufgehängt, habe jedem erzählt, dass ich ein Doktor bin, aber auch gesagt, dass ich kochen, putzen oder jeden anderen Job auf einem Boot annehmen würde – solange ich nur gratis an Board kommen und mitfahren könnte. Eigentlich habe ich nicht erwartet, als Arzt zu arbeiten, aber irgendwie habe ich den Bruder von Jennifers Kapitän kennengelernt, und der hat mir von ihrem Projekt, den Atlanik schwimmend zu durchqueren, erzählt. Ich habe sofort Tamas, den Kapitän, angerufen, der zu der Zeit in Miami war. Nachdem wir ein bisschen gesprochen haben, sagte er, dass sie einen Arzt bräuchten. Und noch bevor ich den Hörer aufgelegt habe, war ich auch schon Teil des Teams. Klar habe ich diesen Tag mit einer großen Party gefeiert… und seither war ich genau 100 Tage lang mit der Crew an Board.
Die glückliche Crew des Weltrekord-Schiffs bei der Landung in Oahu – nach 40 Tagen auf hoher See. Foto: Javier Rius
tripwolf: Wie sieht Jennifers Projekt genau aus und was sind die langfristigen Ziele? War das Ganze nicht eigentlich als Atlantik-Trip geplant?
Javier: Ja, alles begann vor zirka 30 Jahren, als Jennifer ihrem Sohn versprochen hat, mit dem Rauchen aufzuhören. Sie hat es geschafft – und zur gleichen Zeit hat sie auch mit dem Extremsport begonnen: Zuerst ist sie Marathon gelaufen, dann Megamarathons, danach ist sie mehrere US-Staaten und Länder wie Mexiko, Frankreich oder Rumänien “abgelaufen”. Danach ist sie zum Schwimmen gekommen und hatte die Idee, als erste Frau den Atlantik zu überqueren. Beim ersten Versuch im Januar 2009 ist sie gescheitert: Schlechtes Wetter und starke Wellen haben sie zum Aufhören gezwungen. Aber der zweite Versuch im April 2010, bei dem ich auch schon als Arzt mit an Board war, war erfolgreich. Sie schwamm 33 Tage lang je 6 – 7 Stunden von Kap Verde bis zum Trinidad Tobago – und war so die erste Frau, die diese Herausforderung gemeistert hat. Das war die ursprüngliche Idee – und auch das Ende des Projekts. Nachdem sich unsere Wege getrennt haben und jeder in sein eigenes Leben zurückgekehrt ist, habe ich eines Tages einen Anruf in meinem Spital in Nicaragua bekommen: Es war Jennifer. Sie wollte mit dem Schwimmen weitermachen – und jetzt eben die ganze Welt “abschwimmen”. Die nächste Etappe von Mexiko bis nach Hawaii startete im Dezember – und klar war ich wieder mit an Board. 40 Tage haben wir auf dem Ozean verbracht. Mit Erfolg! Jetzt wollen wir eine Tour um die Welt machen. Jennifer will als Erste alle Weltmeere schwimmend durchqueren. Aber Schritt für Schritt: Im Januar 2012 kommt Französisch Polynesien dran.
Javier beobachtet die Extremsportlerin auf “Zug um Zug”. Foto: Javier Rius
tripwolf: Was sind deine Aufgaben an Board?
Javier: Wir sind 5 in der Crew, abgesehen von Jennifer: Der Kapitän, der erste Matrose und Koch, ein Taucher und Hai-Experte, ein Filmemacher und ich als Arzt. Jeder von uns hat spezielle Aufgaben, aber wir haben auch allgemeine Jobs, die wir uns alle teilen. Als Doktor kümmere ich mich natürlich um Jennifers Gesundheit. Jeden Morgen untersuche ich sie gründlich, bevor sie ins Wasser geht und entscheide, ob sie medizinisch überhaupt in der Lage ist zu schwimmen. Sollte sie im Wasser Probleme bekommen, holen wir sie heraus, und ich kümmere mich um sie. Gottseidank wurde sie bisher von keinem Hai gebissen, auch wenn wir sie schon 15 Male deshalb aus dem Wasser holen mussten. Sobald sie aus aufs Boot zurückkommt, checke ich sie erneut durch. Außerdem sorge ich mich noch um ihr Essen und generell um das ganze Wohlbefinden der Crew. Zu meinen allgemeinen Aufgaben zählt auch so etwas wie das Reinigen des Boots, ich backe auch Brot oder beobachte Jennifer, während sie im Wasser ist. Es ist ganz schön seltsam, einer Frau stundenlang beim Schwimmen zuzuschauen. Und dann sind dann auch noch Nachtschichten, bei denen wir uns alle abwechseln.
Auch wenn der Job des Arztes wie ein Traum klingt, der Alltag an Board eines Schiffs kann auch ganz schön hart sein. Foto: Javier Rius
tripwolf: Wie sieht ein normaler Tag auf dem Boot aus?
Javier: Wir stehen um 7.30 auf, frühstücken, dann gibt es den medizinischen Check, Jennifer zieht ihren Schwimmanzug an, all das technische Equipment und spezielles Make up für die Sonne. Um 8.30 oder 9.00 geht es dann los: Jennifer beginnt zu schwimmen. Während sie im Wasser ist, versucht die Crew, so nahe wie möglich an ihr dran zu bleiben, um sie im Fall des Falles wieder aus dem heraus zu holen. Der Kapitän und der Taucher beobachten sie ständig, während der Filmer und ich uns abwechseln. Also mindestens 3 Personen beobachten sie ständig. Sehen wir nur das geringste Problem – wie einen Hai, der auf sie zukommt – blasen wir zum Alarm und holen sie so schnell wie möglich aus dem Wasser heraus. Manchmal muss der Taucher ins Meer springen und sich zwischen Jenni und den Hai stellen, damit wir Zeit gewinnen. Um 16.00 hört sie zu schwimmen auf, weil eine Stunde später die Haie normalerweise zu jagen und zu fressen beginnen. Ich untersuche sie nochmals, dann schauen wir den täglichen Kilometerstand an und schließlich gibt es ein schnelles Abendessen. Danach haben wir frei – also Zeit für Spaß, manchmal spielen wir etwas gemeinsam oder lesen. Und wir schauen uns jeden Sonnenuntergang an – überhaupt verbringen wir sehr viel Zeit damit, einfach nur aufs Meer zu starren und über uns selbst nachzudenken. Auf dem Ozean ist einfach der beste Platz, um sich besser kennen zu lernen. Wir essen um 19.30 zu abend und schauen dann mal einen Film an oder faulenzen. Leider müssen wir Nachtwache halten, bei der wir uns abwechseln. Jeder muss zweieinhalb Stunden munter sein und während dessen aufs Boot aufpassen… darauf, dass wir den Kurs halten; die Wasserpumpe, der Kühlschrank – dass einfach alles funktioniert, kein Boot kommt, die Winde sich nicht ändern und wir die richtige Richtung halten. Es ist immer sehr mühsam, mitten in der Nacht wach zu sein, aber nach einem schlechten Tag sind die Nachtschichten meist die beste Zeit, um einfach nur einmal allein zu sein. Der Himmel ist so unglaublich schön, so viele Sterne – als ob der Nachthimmel Licht einatmet. Und manchmal schwimmen unglaublich viele hell erleuchtete Quallen im dunklen Wasser unter unserem Boot durch. Das ist das Schönste, das ich je in meinem Leben gesehen habe.
tripwolf: Was sind die größten Herausforderungen bei der Arbeit?
Javier: Die größte Herausforderung für Jennifer ist offensichtlich, jeden Tag so viele Stunden in Mitten so hoher Wellen zu schwimmen und zu wissen, dass da unzählige Haie um sie herum sind. Das kann ich kaum nachvollziehen. Du musst nicht nur in außergewöhnlicher körperlicher Verfassung sein, sondern vor allem unglaubliche Konzentrationsfähigkeit und mentale Stärke haben. Jeder von uns arbeitet hart, um Jennifer zu unterstützen und ihren Traum wahr zu machen. Es ist definitiv eine Teamarbeit und jeder von uns hat seine eigenen Herausforderungen. Für mich zum Beispiel waren die zwei bisher größten Herausforderungen als Arzt ein Haibiss und mich um ihr Herzproblem zu kümmern. Abgesehen davon, 40 Tage in einem kleinen Schiff mitten auf dem Ozean zu verbringen, ohne Land zu sehen, mit sechs Leuten denselben kleinen Raum zu teilen und den Alltag zu leben - all das ist eine unglaubliche Erfahrung und Herausforderung für jeden von uns. Du hast viel Zeit um zu meditieren und mit der Natur zu sein – und ich habe mich noch nie so mit der Natur verbunden gefühlt wie auf dem Meer.
“Jamie”, so heißt das Boot, mit dem Jennifer, Javier und der Rest der Crew unterwegs sind. Foto: Javier Rius
tripwolf: Was ist die spannendste, beeindruckendste Erfahrung, die du gemacht hast?
Javier: Wow, schwierige Frage – zu viele Momente wie der Tag, an dem ich über das Projekt erfahren habe; jeder Tag seit Verlassen des Festlandes und besonders, wenn du das erste Mal nach so vielen Wochen auf See wieder Land siehst. In Trinidad bin ich ins Wasser gesprungen und die letzten Meilen mit Jennifer geschwommen – ich kann also sagen: Ich habe Amerika schwimmend erreicht. Oder der Tag, an dem ich zum ersten Mal eine Qualle im Meer gesehen habe. Die erste Begegnung mit einem Hai oder Wal, mein erster Sturm auf dem Ozean… so viele Momente. Aber das Wichtigste für mich ist, die Crew kennen gelernt zu haben, unglaublich tolle Leute, und mit ihnen nicht nur die Herausforderungen zu teilen, sondern auch einen Teil meines Lebens und wieder einmal zu begreifen, dass – egal, wie seltsam und verrückt sie sind – deine Träume wahr werden können. Alles ist möglich, wenn du es nur versuchst.
Zwei, die ihre Träume leben: Jennifer und Javier. Foto: Javier Rius
tripwolf: Wenn es etwas gäbe, was du durch diese Arbeit gelernt hast, was wäre das?
Javier: Ich hatte den Traum, den Atlantik zu überqueren und “per Anhalter” nach Amerika zu kommen. Jennifer hatte den Traum, den Atlantik schwimmend zu überqueren. Sowohl meine als auch Jennifers Freunde haben uns für verrückt erklärt. Aber wie ich schon sagte: Egal, wie verrückt deine Träume sind, wenn du an sie glaubst und für sie lebst, ist alles möglich!
tripwolf: Danke, Javier, für das Gespräch!
Dr. Javier Rius reist seit seinem 18. Lebensjahr – vor allem in Europa. Gelebt hat er unter anderem in Dänemark, England, Frankreich und verschiedenen Teilen Spaniens. Nach Beendigung seines Medizinstudiums arbeitete er für 3 Monate lang als Arzt beim Roten Kreuz auf den Stränden Alicantes. Dann ging es für ihn nach Teneriffa, wo er für 7 Monate als Notfallsmediziner tätig war. Auf der Suche nach einem Boot, das ihn über den Atlantik bringt, fand er Jennifer und wurde Teil ihrer Crew. Danach bereiste er Zentralamerika. Nach Panama und Costa Rica kam er nach Granada in Nicaragua, verliebte sich ins Land und die Stadt und arbeitet seither als Brigadist für das Gesundheitsministerium sowie für das Spital in Granada (Notaufnahme) und andere Communities. In Zukunft sieht er sich als Mediziner auf Haiti leben und arbeiten – wann, das steht noch in den Sternen…
Mehr zu Jennifer Tigges Projekt findet man auf diesen beiden Websites: http://jfigge.com/ und http://jenniferfigge.com/
Erstveröffentlicht auf tripwolf, am 18. April 2011