Anleitung zum Auswandern für Anfänger
Ich sags Euch gleich: Für mich ist das nichts das. Das ständige Herumziehen, 2 Tage hier, 3 Tage dort und schon wieder weiter. Lacht nicht! Ja, ich habe es getan, gerade erst jetzt in Südamerika – aber genau deshalb weiß ich: Für mich ist das nichts. Lieber an einem Ort länger bleiben, die Kultur, die Menschen kennen lernen, Alltag leben und von dort reisen, Ausflüge machen und die Gegend erkunden. Dass das in jeder Beziehung nachhaltiger ist habe ich in meinem bisherigen Auslands-Leben erfahren.
Meine Freunde Barbara, José, Mascha und Katie haben das getan. Sie sind ausgewandert. Zumindest für eine Zeit. Und sie haben sich und die Welt neu kennengelernt. Wie sie das getan haben und welche Herausforderungen, aber auch positive Überraschungen ihre Heimat in der Fremde hat, das haben sie mir verraten:
Barbara, ursprünglich aus Eisenstadt, Österreich. Auslandserfahrung: Beruflich ein paar Jahre Ungarn. Lebt seit 8 Jahren mit ihrem holländischen Lebensgefährten und 2 Kindern in den Niederlanden.
José, ursprünglich aus Bogotá, Kolumbien. Auslandserfahrung: 7 Monate Deutschland vor einigen Jahren. Lebt seit 3 Monaten wieder in Deutschland, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern und um einen Master in erneuerbarer Energie zu machen.
Katie, ursprünglich aus London, UK. Auslandserfahrung: Paris für 1 Jahr im Rahmen der Universität; 4 Jahre in Österreich (wollte eine 1 – 2jährige Auszeit von London und blieb 4 Jahre in Wien!). Lebt seit ein paar Jahren mit ihrem österreichischen Lebensgefährten in London.
Mascha, ursprünglich aus Wien, Österreich. Auslandserfahrung: Studium in England und Hawaii. Lebt seit 1,5 Jahren in Vancouver, wo sie ein PhD Programm macht. Nennt Vancouver ihre “1. Auswanderung, was sehr komisch klingt (kommt da noch ne 2. und 3.?)”
Was sind die größten Unterschiede zwischen Eurer Heimat und Eurem jetzigen Lebensort?
Barbara: In Holland lebt man das die Philosophie des „Anything goes“. Will man mehr Wohnraum, deicht man eben das Meer ein und legt es trocken. Will man Dutch Mountains, macht man einfach welche: Es gibt derzeit Pläne zur Errichtung eines 300 Meter hohen bewohnbaren Hügels. Alles ist beherrschbar, alles ist zu schaffen – und die Beschlüsse, die getroffen werden müssen, werden schnell genommen. Fehler passieren, werden als systemimmanent mit eingeplant. Das Leben, die Gesellschaft, die Natur alles ist work in progress. Dabei spricht man bei Richtungsänderung nie von „Verbesserungen“ sondern nur von „Erneuerungen“. Wir probieren etwas Neues, wenn das nicht unseren Vorstellungen entspricht, probieren wir einfach wieder etwas Neues. Dieser Erneuerungsaktionismus soll irgendwann aus sich selbst auch die Verbesserung bringen. Alles ist möglich bedeutet, dass nichts fix ist, dass es keine festen Werte gibt, wenig Sicherheit und wenig Halt. Jeder sucht sein Heil auf seine Weise, jede Religion und Lebensanschauung hat ihre eigenen Schulen, Jugendeinrichtungen, Versicherungen, Altenheime, Krankenhäuser. Will man sich keiner dieser sinnstiftenden Gemeinschaften anschließen, schwirrt man losgelöst aus allen traditionellen Zusammenhängen als Einzelphänomen durchs Leben, dockt einmal hier einmal da an, geht lose Verbindungen ein. Alles bleibt unverbindlich, flexibel, modern.
José: Die Lebensqualität in Deutschland ist viel hoher als in Kolumbien. Trotzdem gibt es in Kolumbien viele Sachen, die man in Deutschland nicht finden kann. Zum Beispiel üppig Natur sowie eine sehr große Musikkultur.
Katie: Die Österreichische Gesellschaft ist ganz schön konservativ im Vergleich zur Britischen. Familienleben generell ist traditionell, die katholische Kirche spielt eine Rolle, die sie in Großbritannien nicht hat und sogar die Art, wie sich die Leute kleiden, ist konservativer. Ich kann in Wien keine High-Heels tragen, ohne als “schlampig” angesehen zu werden. Die Lebensqualität in Österreich ist sehr wichtig – Menschen wollen eine Work/Life-Balance. Ich habe gelernt, mich zu entspannen. Und die Österreicher gehen mehr ins Freie, fahren Ski, wandern – und das machen sie mit ihren Familien. Ich habe Spazierengehen in den Bergen und im Wiener Wald zu schätzen gelernt.
Mascha: Die Menschen hier sind viiiel relaxter, freundlicher, und gesprächiger als die allzu oft auftretende Wiener “Grantler-Type”. Ob das an der atemberaubenden Landschaft und dem Meer liegt, oder an der generellen Höflichkeit, die Menschen gegenüber einander haben, weil viele “neu” hier sind, weiß ich nicht (Allerdings hab ich mir in Wien schon gedacht, dass ein bisserl Meer net schlecht wär). Lebenshaltungskosten sind allerdings weitaus höher, und Bier, Brot, Käse, und Schokolade können bei Weitem nicht mit österreichischer (oder europäischer) Produktion mithalten, leider.
Was hat dich am meisten überrascht, woran musstest du dich am meisten anpassen – positiv wie negativ?
Barbara: Aus österreichischer Perspektive ist Holland ein sich selbst regulierendes Chaos. Es gibt keinen Chef, keinen Mastermind, keine Autorität, die dafür verantwortlich ist. Für eine Untertanin eines Kaiserreichs, in dem der Landesfürst von Gottes Gnaden Jahrhunderte lang ohne Widerspruch regiert hat, ist das harter Tobak. Wie tun die das? Wie kann ein Land funktionieren, in dem ein Chef nichts anschaffen darf, sondern mit seinen Mitarbeitern „overleg“ (eine Art gemeinschaftliches Brainstorming) halten muss, um seine Ideen absegnen zu lassen? Kinder in der Schule mit dem Lehrer darüber diskutieren, ob die von ihm geplante Stunde echt nötig ist oder man nicht lieber etwas Anderes lernen sollte? Das Finanzamt durch einen Computerfehler hunderttausende Steuerdaten verliert? Das bedingt, dass man sich um alles kümmern muss. Sie warten auf mich als Teil der Zivilgesellschaft. Seltsam.
José: Was mich in Deutschland überrascht hat, ist einfach die große Lebensqualität. Man kann viel Natur auch in den Städten finden, der Verkehr ist ziemlich gut.
Katie: Mich hat am meisten die Politik in Österreich schockiert. Die Tatsache, dass FPÖ und BZÖ die politischen Parteien des Volks sind und dass eine Person wie Barbara Rosenkranz existiert, das schockiert mich noch immer. Dann der Mangel an Höflichkeit in Geschäften und Kaffeehäusern. Und dass am Sonntag nichts offen ist!
Mascha: Dass man Bier, Wien, etc. in Kanada nur in “liquor stores” erhält, und dann mit den höchsten Steuern in ganz Nordamerika. Dass die Kanadier doch sehr gehorsam sind wenn es um Regeln und Gesetze geht; und dass die Freundlichkeit – oder besser Höflichkeit – oft eine Wand ist gegen die man rennt, wenn man etwas WIRKLICH diskutieren will. Da bin ich in Wien doch mehr Offenes, Mitten-ins-Gesicht gewohnt, was ich hier immer noch ein wenig vermisse. Und dass die Stadt so unglaublich schön ist, wenn es nicht ständig so unglaublich viel regnet. Schneeregen, die Menge hat mich eher negativ überrascht.
Alles, außer Marillenmarmelade oder Vancouver ist nicht Wien. In der Fremde muss man sich an so einiges gewöhnen, was anders ist als zuhaus. Foto: Mascha
Was ist jetzt eigentlich deine Heimat?
Barbara: Keine Ahnung, wo meine Heimat ist. Nirgendwo eigentlich. Hier ist meine berufliche Heimat, hier sind meine Kinder geboren, hier gehen sie zur Schule, aber nur in Österreich kann ich ganz ich selbst sein. Hier werde ich wohl immer eine Fremde mit Erklärungsbedarf bleiben.
José: Meine Heimat ist Kolumbien, aber ich schätze Deutschland sehr.
Katie: Ich habe 9 Monate gebraucht, um mich einzuleben. Ich kam im Oktober 2005 – und es war ein harter Winter für mich. Dann kam der Sommer und irgendetwas machte “klick”, ich habe mich in Wien verliebt. Aber ich fühle mich als Britin. Doch ich nehme das Beste von Österreich mit mir.
Mascha: In gewisser Weise hab ich viele Heimaten. Wien ist eine davon, Vancouver eine andere, Hawaii eine weitere (mach dort meine Feldforschung). Ich glaube, es wurde Heimat als ich mich in Vancouver (die Stadt) verliebt habe, das war so im November, wenn die Berge mit Schnee bezuckert waren, die Sonne rauskam, und ich mit Rad auf die Uni gefahren bin. Und dann wurde es nochmal mehr Heimat als ich mich in einen Vancouverianer verliebt habe. Da muss ich dann immer an Mumford & Sons’ Awake my soul denken: “..and where you invest your love you invest your life..”
Was sind die Tipps, die du jemand anderem geben würdest und über die du im Vorhinein dankbar gewesen wärst? Was hat dir am meisten geholfen?
Barbara: Nein, keine Tipps. Es kommt, wie es kommt. Meine ersten Jahre in den Niederlanden waren furchtbar, nichts schien zu funktionieren, in Job und Privatleben gab es viele Frustmomente. Jetzt habe ich einen Job, den ich in Österreich vermutlich nie bekommen hätte und meine Kinder leben in einer in Österreich unbekannt kinderfreundlichen Sphäre. So werde ich zum Beispiel im Supermarkt nicht schief angeschaut, wenn sie sich mal schlecht benehmen.
José: Es gibt schlicht und einfach einen Tipp, der sagt, schnell Verbindungen zu machen. Man muss versuchen, schnell Leute kennenzulernen.
Katie: Lern die Sprache. Tu alles, was du kannst, um die Sprache zu lernen. Das ist der einzige Weg, die Kultur zu verstehen. In meinem Fall: Verliebe dich in einen Österreich – er wird dir alles zeigen und erklären und dir auch bei den langweiligen Behörden-Kram helfen. Und erledige allen Einkauf vor Sonntag!
Mascha: Nicht mit einer Fernbeziehung auswandern, die nicht locker gelebt wird. Man ist nicht sehr offen, neue Leute kennenzulernen, das tat mir nicht gut. Unternimm so viel wie möglich mit so vielen verschiedenen Menschen wie möglich. Mach das, was du auch in der Heimat gemacht hast (Sport, Hobbies) denn neugierig auf Neues bist du sowieso. Vergrab dich nicht auf facebook und skype. Mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben alle paar Wochen ist okay, aber früher oder später solltest du akzeptieren, dass dein Leben im Hier und Jetzt ist, und nicht auf einem Bildschirm.
Wie hast du Freundschaften gefunden und soziale Kontakte geknüpft?
Barbara: Ich habe wenig Freundschaften bzw. soziale Kontakte gefunden. In der Arbeit Freundschaften zu knüpfen ist hier – seit ca. 10, 15 Jahren, so sagen die Einheimischen mir – “not done”. An der Hochschule habe ich viele sehr nette Kollegen, aber in den drei Jahren, in denen ich dort arbeitet, hätte noch niemand probiert, mit mir privat in Kontakt zu treten. Auch über Sport, Schwangerschaftskurse, Filmclub, an der Schule meines Sohnes ist es mir nicht gelungen, echte Freunde zu finden. Bekanntschaften ja, aber mehr nicht. Woran das liegt? Sicher auch – nicht nur! – an der Doppelbelastung von Kindern und Beruf. Ich denke, das ist international das Gleiche: Das bedeutet in den Niederlanden wie auch in Österreich, dass Mama immer im Einsatz ist – oft 16 Stunden am Tag ohne Pause. Zeit für soziale Kontakte bleibt da nicht. Und wenn eventuell Zeit bliebe, ist man so müde, dass man doch lieber schlafen geht.
José: Ich glaube, dass man in Kolumbien einfacher soziale Kontakte finden kann, weil die Leute offener sind. Jedoch sind die Deutschen auch sehr nett. Ich habe neue Freundschaften in einer Tandemgruppe auf Facebook geschlossen, sowie per CouchSurfing. Ich habe auch Freunde von alte Freunden kennen gelernt.
Katie: Ich hatte bereits österreichische Freunde, die ich in Paris getroffen habe. Also habe ich durch sie Leute getroffen. Ich habe außerdem Bekanntschaften an der Schule, wo ich arbeitete, gefunden. Und ich hab ein Magazin gegründet – dadurch habe ich viele Leute getroffen.
Mascha: Durchs Studium, durch CouchSurfing nur solche, die ich vorher schon kannte. Durch Volleyball. Online dating ist sehr viel normaler hier, und auch sehr interessant, dieses “dating” Konzept!
Was vermisst du am meisten in der Fremde?
Barbara: Ich vermisse am meisten meine Freunde, das gemütliche Tratschen, das entspannter Verhältnis zum Sein!
José: Was ich am meisten von meiner Heimat vermisse ist die menschliche Wärme sowie meine Familie, das Essen und die üppig Natur.
Katie: In Österreich habe ich bestimmtes englisches Essen vermisst. Den Humor. BBC TV. Die Höflichkeit und bestimmte Freunde.
Jetzt vermisse ich Wien und was für bequeme Stadt es ist – du kommst überall ganz schnell hin. Ich vermisse das Nachtleben – hier in London schließt alles um 2.00 früh. Ich vermisse den 7. Bezirk, wo ich gewohnt habe. Ich vermisse meine Freunde dort. Ich vermisse die Schwimmbäder wie das Jörgerbad. Ich vermisse den Sommer in Wien – die Stadt ist dann einfach so schön! Ich vermisse das Jahr mit seinen traditionellen Events wie dem Weihnachtsmarkt, dem Ostermarkt, den Open-Air-Kinos. Ich vermisse Punschkrapfen. Oh Gott, ich vermisse Wien sehr!
Mascha: Gutes Bier, gutes Brot, den Gradwohl (Bio-Bäcker), Schokolade und Käse! Alles furchtbar teuer hier. Und Wiener Leitungswasser. Und meine Nichte und meinen Neffen. Die grantigen Wiener im Bus ganz selten, aber dann doch manchmal, damit ich was zum Lachen habe …
Kannst du dir vorstellen, für immer dort zu bleiben?
Barbara: Ja, ich kann mir sehr gut vorstellen, für immer hier zu bleiben. Oder umgekehrt: Ich kann mir ein Leben in Österreich nicht mehr vorstellen. Meinen Kindern will ich Österreich echt nicht antun – die sind als freie Holländer aufgewachsen, hätten es schwer damit, in einer österreichischen Schule ihren Mund halten zu müssen!
José: Nein, das habe ich mir noch nicht für mich vorgestellt.
Mascha: Mm… gerad jetzt sag ich ja. Und das heißt schon Einiges für mich.
Eine Frage noch für Katie. Du bist ja wieder zurück nach England. Warum und wie war das “Heimkommen”?
Katie: Ich bin wegen des Jobs zurück. Ich hatte alles in Österreich erreicht, was ich konnte. Wenn ich in der englischen Presse arbeiten wollte, musste ich zurück nach London. Jetzt arbeite ich für The Sunday Times – das wäre in Wien nie möglich gewesen. Das Zurückziehen nach London war aber hart. Es ist so eine andere Stadt und ich hatte mich so sehr verändert. Die Menschen arbeiten um zu leben. Das Leben ist so teuer hier. Und viel stressiger. Ich bin während der Wirtschaftskrise zurück, also bin ich in ein völlig anderes London zurückgekehrt als das, das ich verlassen hatte.
Danke für Eure Offenheit und fürs (Mit)Teilen der Anleitung zum Auswandern!