Brüssel: Bruxelles, Brussel, Brussels, Brisele, Bruselas und/ oder Brukseli?!
Kaum eine Stadt wird so sehr mit dem vereinten Europa in Verbindung gebracht; kaum eine Stadt ist so oft in den Medien; in kaum einer Stadt fühlt man sich mehr als Europäer und in kaum einer Stadt wohnen so viele verschiedene Nationen nebeneinander wie in ihr, der Stadt mit den tausend Namen: Brüssel (d), Bruxellas (fr/da/it), Brussel (nl/mt), Brussel (en), Bruselu (cs), Brüsselis (et), Bruselas (es) und und und. Tausend Namen, tausend Gesichter – das kann man bei Brüssel zu Recht behaupten: Schließlich ist „Europa City“ nur ein kleiner Bestandteil der belgischen Hauptstadt, und neben dem Stützpunkt der Europäischen Union sowie den anderen EU nahen Gebäuden gibt’s in Brüssel jede Menge anderes zu entdecken.
Wer zum ersten Mal in Brüssel ist und genauso wenig „vorbereitet“ ist, wie ich es war, der wird zunächst einmal ziemlich erstaunt sein: Erstaunt über die Vielfalt und die Gegensätze, die in Brüssel schon bei der Sprache beginnen. Die belgische Hauptstadt ist nämlich offiziell zweisprachig, und so liest man Straßennamen, Namen von Stadtteilen und Stationen des öffentlichen Verkehrs konsequent sowohl in Französisch als auch in Niederländisch.Errichtet auf sieben Hügeln – die bekanntesten sind Mont des Arts, Mont de la Justice und Misericorde – bewegt man sich in Brüssel ständig wellenförmig auf und ab, von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Und zu sehen gibt es viel, schließlich hat Brüssel eine abwechslungsreiche Geschichte: Ursprünglich von den Burgundern gegründet, gehörte sie lang zum Habsburgerreich, dann zu Frankreich und danach zur Niederlande. Erst 1830 konnte sich Belgien in einer Revolution emanzipieren und Brüssel zur Hauptstadt des neuen Landes erklären. Die Spuren all dieser Zeiten sind auch heute noch zu sehen, denn glücklicherweise blieb Brüssel in den Weltkriegen von Bombardierungen weitgehend verschont. So stehen prunkvolle Kirchen und Paläste neben modernen Wolkenkratzern, große Boulevards gehen in enge Gassen über und dazwischen blinzeln bunte Comic-Bilder von grauen Wänden.
Kreativität ist sowohl im Brüssel der Vergangenheit als auch im Brüssel von heute groß geschrieben: Zwischen 1890 und 1910 war die Stadt Wiege und Zentrum der Jugendstilbewegung, und viele Jugendstilcafés, -geschäfte, -museen und –restaurants laden auch heute noch zum Bleiben ein. Späteres Zeichen der Kreativität sind vor allem die belgischen Comics: Die Schlümpfe, Tim und Struppi und Lucky Luke, sie alle haben ihren Geburtsort in Belgien. Und in Brüssel lachen sie oft von Häuserwänden oder begegnen einem auf einem der vielen Märkte im Heft-Format.
Märkte, das ist noch so ein Stichwort: Auf jedem – noch so kleinen – Platz wird etwas verkauft. Fischmärkte, Blumenmärkte, Flohmärkte, Bücherbörsen – und seit einigen Jahren auch Weihnachtsmärkte sind überall zu finden. Wobei letztere mit ihren kitschigen „Jahrmarktständen“ oder amerikanisch angehauchten Burger-Buden oftmals eher abschreckend sind.
Dabei darf man eines sicher nicht vergessen, wenn man über Brüssel schreibt: Die berühmte Küche der belgischen Hauptstadt. Pommes Frittes, typisch mit Mayonnaise oder Tartar, Muscheln, Waffeln und – natürlich – die verführerischen Schokolade-Kreationen lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Während gute Pommes wirklich an jeder Straßenecke zu finden sind, ist es in der Stadt selbst eine Herausforderung, zu Muscheln zu kommen und dabei nicht in der Rue des Bouchers, auch Bauch von Brüssel oder Fressgassen genannt, in eine Touristenfalle zu tappen. Zum Thema Essen sind aber auch die guten marokkanischen und türkischen Einflüsse zu bemerken. „Schuld“ daran sind die zahlreichen Einwanderer aus diesen Ländern, die in den 60er Jahren zuerst als Arbeitskräfte für die Industrie und später als Wirtschaftsflüchtlinge nach Belgien gekommen sind. Deren Gegenwart ist übrigens allgegenwärtig: Kopftücher, muslimische Einrichtungen – Brüssel hat einen Anteil von 25,5% an Muslimen – und die heruntergekommenen islamischen Stadtviertel sind der Beweis.
Sehenswertes lässt sich in Brüssel jedenfalls leicht finden – meine persönlichen Highlights sind: Das 1958 für die Weltausstellung gebaute Atomium; die Kirche Sacre Coeur, das fünftgrößte religiöse Gebäude der Welt inklusive eigenem Restaurant; Grande Place mit dem in der Nacht mit einer Lichtershow ausgeleuchtetem Rathaus und – passend zur Jahreszeit – mit blau leuchtendem Weihnachtsbaum; das 2008 eröffnete Magritte und das Comic Museum (Achtung: Museen haben montags geschlossen) und – natürlich – das EU Parlament, in dem es täglich um 10.00 und 15.00 eine Gratis-Führung gibt. Enttäuschend hingegen ist Manneken Pis, dessen Nacktheit meistens hinter einem der 300 Kostüme versteckt ist.
In all dieser Vielfalt fehlt allerdings eines: Anders als vergleichbare europäische Städte hat Brüssel keinen Fluss, oder doch? Nein, Brüssel ist keine Ausnahme, sondern wurde ebenso an einem Fluss, der Senna, gebaut. Doch wie so vieles – die Bahnverbindung nach Frankreich zum Beispiel oder die Autobahnen für EU Diplomaten – ist auch die Senna mittlerweile unterirdisch. 1863 wurde sie, in einem beispiellosen Stadtprojekt, zugeschüttet und unter die Erde gelegt. In einem Hinterhof in Saint-Gery im Zentrum kann einen kleinen Seitenarm der Senna noch heute sehen.
Erstveröffentlicht auf tripwolf, am 15. Dezember 2009