Burn, baby, burn: Mein Silvester mit Superhelden
“Nein, seine Nase ist schief, die mag ich nicht.” “Wie wäre es denn mit dem da?” “Ach, findest du nicht, dass sein Mund zu groß ist?” Wer unseren Dialog so hört, könnte glatt denken, wir seien ganz schön wählerisch und suchen nach dem perfekten Mann. Stimmt ja auch, wobei, den perfekten Mann haben wir uns schon selbst gebastelt – hier geht es um das perfekte Gesicht für ihn, für unseren Superhelden!
“Hier, schaut mal, der ist es”, meine Freundin Jazz hält einen Kopf aus Papier in die Höhe. Ja, sie hat Recht: Der ist es! Der passt perfekt auf “unseren” Superman, ähm, Captain America, den wir vor ihrem Haus in Guayaquil in Ecuador die letzten Tage aus Zeitungsresten zusammen gestückelt haben. Nicht nur Jazmin und ich. Ihre ganze Familie war tage-, nein, wochenlang im Einsatz, um den Helden zum Leben zu erwecken. Okay, beinah…
Da reihen sich drei Schlümpfe neben Fidel Castro, die Oldie-Rocker Kiss stehen friedlich bei Kung-Fu Panda und teilen sich den Platz mit Superman. Wer sich in diesem Jahr besonderer Beliebtheit erfreut, ist nicht zu übersehen. Captain America gehört eindeutig dazu – zumindest in der Calle 6 de Marzo zwischen den Straßen de Franco Dávila und Venezuela. Wie jedes Jahr um die Zeit vor Neujahr gehört die Straße weniger den BewohnerInnen als den Pappmaschee-Puppen, den Años Viejos – und natürlich den vielen Schaulustigen, die zum Feiern, Staunen und Einkaufen kommen. Nicht jede Familie bastelt nämlich ihre Figur selbst, einige besorgen sie sich in Calle 6 de Marzo, der einzigen Straße Guayaquils, in denen man die Años Viejos offiziell erstehen kann. Wir nicht – wir kaufen nur den Kopf!
Die Años Viejos (oder auch Monigotes; auf spanisch: Altes Jahr), haben Tradition in Ecuador: Die Puppen werden in den Tagen vor Silvester in liebevoller Kleinstarbeit gebastelt – nur um dann in der letzten Nacht des Jahres in Flammen aufzugehen. Richtig gelesen: Sie werden mit Tritten, Schlägen und Prügeln ins Feuer befördert – in den Straßen der Stadt, in denen sie zuvor auf- und ausgestellt sind – oder auf den Stränden, an denen die Menschen das Neue Jahr feiern. (Vergesst Rio – Montañita in Ecuador “is the place to be”!). Ärger, Zorn, Fehler, Enttäuschungen, Versagen .. all das wird auf einen Zettel geschrieben auf den Bauch der Puppe geklebt, um Schlag Mitternacht mit den Años Viejos in Flammen aufzugehen und damit im alten Jahr zu bleiben. Verbrannt und vergessen!
Zurück bleibt die Asche, die Hoffnung, dass alles im Neuen Jahr besser wird und … “Mein Mann ist gestorben, hab doch Erbarmen”, grölen, nein, lallen mir zu Silvester in Montañita einige Jungs zu, die Frauenkleider tragen und fein säuberlich geschminkt sind. Es sind die “Witwen” der verbrannten Años Viejos, denn jede Puppe hat – mindestens (!) – eine Frau, erklärt mir meine Freundin Jazz. Aha!
Warum man für die Años Viejos, deren Skelett meist aus Holz besteht, Superhelden, Politiker, Rockstars oder Zeichentrickfiguren braucht, das konnte aber selbst sie mir nicht beantworten. Sei es drum: Burn, baby, burn! Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass ich einen Mann in Flammen aufgehen lasse … und vermutlich auch nicht das letzte Mal!
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Ich war 2011 im Rahmen meiner 7-monatigen Südamerika-Reise in Ecuador und hatte das Glück, dort zwischen 27. und 30. Dezember bei Jazmin und ihrer Familie in Guayaquil unterzukommen. Später haben wir gemeinsam in Montañita das Neue Jahr begrüßt. Mit Años Viejos, versteht sich!