Cicerones: Mit einer Einheimischen in Buenos Aires
“Ich möchte gern die Ecken von Buenos Aires kennenlernen, in die sonst keine Tourist kommt – bei solchen Anfragen könnte ich gleich davonlaufen!” Schon der erste Satz von Patricia raubt mir jeglichen Mut, denn genau das war auch mein Wunsch. Nachdem wir uns fast bei der Station “Catedral” der U-Bahn Subte in Buenos Aires versäumt haben, weil es nicht nur einen, sondern vier Ausgänge gibt, stehen wir uns jetzt gegenüber und versuchen, die gemeinsamen Stunden zu planen. Patricia ist für diesen Tag mein Guide, eine Einheimische, die ich über die Cicerones-Website angeheuert habe, um mir “ihr” Buenos Aires zu zeigen…
Seit über 10 Jahren ist Patricia eine von ihnen – Cicerones, die freiwilligen Tourguides durch Buenos Aires. Foto:Cicerones
Cicerones – so heißen die Freiwilligen, die TouristInnen seit Jahrzehnten durch Buenos Aires führen. Ob Shoppingrunde, Innenstadt-Spaziergang oder Museumsbesichtigung sind sie für alles zu haben – oder besser gesagt, für fast alles…“Einen Ort ohne TouristInnen gibt es in Buenos Aires nicht”, erklärt mir Patricia, deren Brotberuf Übersetzerin für Englisch und Portugiesisch ist, “gerade am Wochenende sind auch viele ArgentinierInnen unterwegs, wir reisen gern. Und wenn ich Gäste in meinen Alltag mitnehme, heißt das, sie zu meinen Eltern mitzubringen in ein Viertel, das nichts zu bieten hat.” Okay, ich habe verstanden: Die Einheimischen-Tour kann ich mir also abschminken! Es sind typische Plätze, die mir die Porteña - so heißen die Leute aus Buenos Aires – in den nächsten 4 Stunden zeigen wird, und doch erfahre ich durch sie und mit ihr Dinge, die ich vielleicht sonst nicht in Erfahrung gebracht hätte. Ganz im Sinne der Cicerones, die laut Website vor allem einen “profunden Einblick in ihre Stadt” bieten und ein gutes Image ihrer BewohnerInnen kreiieren wollen.
Auch eine Möglichkeit, Buenos Aires zu sehen: Der Touri-Bus. Ich bevorzuge eine Tour mit den Cicerones. Foto: Doris Neubauer
Die erste richtige Station unserer Reise nach einem kurzen Rundgang durch die Catedral Metropolitana, wo die Gebeine des Unabhängigkeitskämpfers San Martín ausgestellt sind, ist das Casa Rosada, Wirkungsstätte und Regierungssitz des Präsidenten. Gemeinsam mit zirka 30 anderen, davon die Mehrzahl ArgentinierInnen, nehmen wir an der 40minütigen Gratis-Führung durchs Haus teil. Dass ich spanisch spreche ist dabei ein Vorteil – normalerweise muss die Cicerone nämlich für ihre Gäste, die vorwiegend Brasilianer, Nordamerikaner oder Deutsche sind, übersetzen. “Jedesmal erfahre ich etwas Neues”, so Patricia, die nach sechs Touren selbst schon fast als Guide in der Casa angestellt werden könnte. Und auch diesmal war etwas dabei: Noch beim Eingang hatte sie mir erklärt, dass die babyrosa Farbe des Gebäudes von einer Mischung aus rot und weiß, den Farben der verfeindeten Parteien Unitarier und Föderalisten, stammt. Aus Rot und Weiß wird Rosa – eine Farbe, die seither die Einheit Argentiniens repräsentiert. Unser Führer erzählt uns dann jedoch, dass das bloß eine Theorie für die knallige Bemalung ist. Tatsächlich ist es realistischer, dass das Rosa aus einer Mixtur von Kalk und Blut entstand und im 19. Jahrhundert als wasserabstoßender Häuseranstrich eingesetzt wurde.
So sieht er also aus, der Arbeitsplatz eines (argentinischen) Präsidenten – in der Casa Rosada. Foto: Doris Neubauer
Höhepunkt der Tour – zumindest für die ArgentinierInnen – ist definitiv die Besichtigung des Arbeitsplatzes des Präsidenten mit seinen Fotos, Akten und Papierstapeln. Für mich als Nicht-Latina ist das Ganze nur mäßig spannend. Ich bin vor allem auf der Suche nach den verschiedenen Rosa-Tönen, mit denen das Haus in den unterschiedlichen Jahren angestrichen wurde – jedoch vergeblich. Dafür übe ich mich mit Hilfe von Patricia darin, die Gesichter und vor allem Namen ihrer vielen berühmten Landsmänner und -frauen, von denen Bilder an den Wänden hängen, zu erkennen und zu merken.
Der “hauseigene Strand” der Porteños: Puerto Madero vor dem Parque Ecologico. Foto: Doris Neubauer
Erholung davon gibt es beim darauffolgenden Spaziergang zum Parque Ecologico Municipalidad La Plata, am ehemaligen Flussufer des Flusses entlang. Das Wasser ist dem Sumpfgebiet und einer riesigen Grünfläche für die Großstädter gewichen. Ob diese die vielen Wiesen, Wanderwege, Spielplätze auch zur Erholung nutzen, weiß ich nicht. Uns kommen bloß schwitzende, durchtrainierte Typen entgegen, die hier vor allem eines wollen: Sich fit halten. “Einmal habe ich mit einem Gast einen ganzen Tag wandernd im Park verbracht”, erklärt mir Patricia und fügt hinzu, dass sie dort auch ein paar Mal im Jahr mit dem Rad unterwegs ist. Das Bild im Park, der gratis ist, bietet einen witzigen Kontrast zum Ufer selbst: Auch wenn der Fluss selbst nicht mehr in Reich-, geschweige denn Sichtweite ist, nutzen das nämlich ältere Porteños als ihren “Stadtstrand” und tun mal so, als wären sie am Lido in Italien. Biertrinkend, mit nackten Oberkörpern breiten sie ihre Strandsessel aus und lassen sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Daneben bauen unzählige VerkäuferInnen ihre Marktstände auf – es ist Samstag, 14.00, Zeit, sich auf das chaotische Tummeln am Wochenende vorzubereiten. Stärkung gibt es auf den vielen “Hamburger/ Würstel”-Buden, vor denen mich aber schon ein Freund gewarnt hat: Achtung, hier am Flussufer sieht es mit der Hygiene nicht ganz so aus wie in der kulinarisch sonst so fortgeschrittenen Stadt Buenos Aires.
Alter, typisch katholischer Heiligenglaube und moderne Architektur – die Mischung aus Alt und Neu macht für mich den Charme von Buenos Aires aus. Foto: Doris Neubauer
Mit Kontrasten zwischen Alt und Neu, zwischen Tradition und Moderne geht es auf unserem Stadtspaziergang auch weiter: Richtung Puerto Madero nämlich, dem ehemalig schmutzigen Hafenviertel, das vor 15 – 20 Jahren zu einer Trendzone umgebaut wurde und sich jetzt als jüngstes der Viertel rühmen kann. Heutzutage reihen sich ein schickes Restaurants neben dem anderen auf dem Pier, renovierte Ziegelstein-Gebäude mit großen Fenstern im alten Stil werden von aalglatten modernen Hochhäusern umzingelt. Wo sich aber zum Beispiel in der Form der Frauenbrücke ein Tango tanzendes Paar entdecken lässt, das kann ich nicht erkennen – und auch Patricias jahrelange Suche war bisher vergeblich.
Grün- und Betonstadt in einem: Buenos Aires vom Parque Ecologico Municipalidad La Plata. Foto: Doris Neubauer
Unsere Tour endet mit mit einem, mit dem sie begonnen hat: San Martín nämlich, der nicht nur seine Gebeine in der Kathedrale, sondern auch andere Spuren in Buenos Aires hinterlassen hat. Bis zur Plaza San Martín, wo ich mich von Patricia verabschiede – schließlich wartet auf sie ihr Mann mit dem Leben abseits des Cicerones-Dasein – wird aber noch jede Menge geplaudert. Das ist nicht immer so: “Einmal habe ich einen Asiaten durch die Stadt geführt”, plaudert sie aus dem Nähkästchen, “der – aus Schüchternheit – einfach nichts gesagt hat. Ich habe keine Ahnung, ob und was ihm gefallen hat. Ich habe kein Wort von ihm gehört.” Andere wiederum haben ganz genaue Vorstellungen, was sie mit ihrem privaten Tourguide in den paar Stunden (die Dauer der Rundgänge hängt von der Zeit der Gäste, aber auch von den Plänen Patricias ab) machen möchten. “Keine Tour ist so, wie die vorherige”, meint sie zum Schluss, “und manchmal entdecke sogar ich als Einheimische und nach 10 Jahren als Cicerones meine Stadt neu… ”
Mehr zu den internationalen Greeter-Service gibts auch hier zum Nachlesen: http://blog.tripwolf.com/de/blog/2011/09/12/greeters-network-begrusung-durch-einheimische/
Erstveröffentlicht auf tripwolf, 4.6.2012