Fundacíon Cisol: Türe öffnen für Straßenkinder in Ecuador
Denke ich an meine Reise durch Ecuador habe ich viele Bilder und Eindrücke im Kopf. Von holprigen Fahrten in bunt ausgeschmückten Bussen, von Indigenen in ihrer farbenprächtigen Tracht mit weiten Röcken, bunten Jacken – und natürlich dem obligaten Hut auf dem Kopf; von Menschen, die mich überall ansprechen, mit mir plaudern wollen, die mich an der Hand nehmen und mir den Weg zeigen, wenn ich einmal wieder verloren bin; von Märkten mit Blumen, riesigen Papayas, Bananen und anderen Früchten…
Und Bilder von einem Tag, an dem mich meine CouchSurfing-Hostess Alison in eine Schule in einem indigenen Dorf im Bezirk Chimborazo im Zentrum von Ecuador mitgenommen hat. Alison arbeitete für einen Nonprofit-Organisation, die sich für zweisprachigen Unterricht – Spanisch und Quechua, die Sprache der Eingeborenen – einsetzt, damit die SchülerInnen aus indigenen Bergdörfern auch die Chance haben auf anerkannte Bildung. Damit sie vielleicht eine höhere Schule in der Stadt oder möglicherweise sogar später eine Universität besuchen können.

Zu Besuch in einer Schule in einem indigenen Dorf in Ecuador. Foto: Doris
Der Lehrer stand vorne und sprach. Für sich, so schien es. Die SchülerInnen hörten kaum zu. Wie auch?! Eine 21-Jährige hatte ihr Baby mit in die Klasse genommen. Das wurde von Einem zum Nächsten gereicht. Nur die Hälfte der Kinder, die zwischen 6 und 21 Jahre alt waren – alle in derselben Klasse – hatte Bleistifte und Notizzettel. Sie saßen auf Plastikstühlen aneinander gepfercht im Klassenzimmer.

Die Region Chimborazo in Ecuador, viel Grün und dazwischen ein paar Häuser des Dorfs. Foto: Doris
Ich kann mich nicht mehr an den Namen des Dorfs erinnern, geschweige denn an die Nonprofit-Organisation, für die Alison gearbeitet hat, aber diese Erinnerungen und Bilder, die bleiben! “Ich habe schon einige Schulen besucht, aber so eine schlimme Situation habe ich noch nicht erlebt”, gestand mir auch meine Freundin bei der Heimfahrt – und sie erzählte Erfolgsgeschichten von zwei Mädchen, die aufgrund des Programms jetzt an einer Universität zu studieren begonnen haben. Zwei Seiten, eine Realität – in Ecuador und vielen anderen Ländern Latein- und Südamerikas.
Bildung ist ein unentreissbarer Besitz (Menander)
Schulbildung ist auch ein wichtiger Bereich der Arbeit einer anderen Nonprofit-Organisation, der Fundacíon Cisol, die 1977 von Ecuadorianern in Loja, dem Süden des Landes (bekannt als Tal der Hundertjährigen) gegründet worden ist und sich seither für Kinder und Jugendliche einsetzt, die von Kinderarbeit betroffen sind. Denn das ist ein weiteres Bild, das mich nicht loslässt: Nicht nur in Ecuador, aber auch, sieht man in Süd- und Lateinamerika immer wieder Kinder, die auf der Straße ihre Arbeit anbieten. Ob Schuhe putzen oder Karten verkaufen, ob handgearbeiteten Schmuck anpreisen oder Malereien präsentieren …

Schuheputzen als Job ist üblich – auch in Ecuador.Foto: Cisol Suiza
Seit 2000 ermöglicht “Schule Educare” rund 200 Kindern aus armen Verhältnissen vom Kindergarten bis zum Oberstufe eine Schulausbildung. “Das Hauptprojekt ist zwar die Schule”, erklärt die Schweizerin Tamara Feuz, die selbst als Freiwillige 2007 Englisch unterrichtet und mit den Straßenkindern gearbeitet hat, “aber viele Kinder haben Lernbehinderungen, können sich nicht konzentrieren oder haben gesundheitliche Probleme. So ist es notwendig, dass psychologische, medizinische und auch soziale Hilfe miteinbezogen werden.” Außerdem gibt es Frühstück und eine warme Mahlzeit, Workshops im Rahmen der “Zukunftsschule”, um den Kindern Alternativen zur Straße zu bieten und Hilfe bei den Hausaufgaben. “Und wer die Schule bei Cisol abschließt, kann anhand eines Stipendiums von Cisol das Gymnasium und die Universität besuchen.”

Tamara 2010 in der Schule Educare. Foto: Cisol Suiza
Sprachs, und schon sind wir mitten im Interview, denn Tamara hat ihr Einsatz in Ecuador nicht los gelassen. Sie unterstützt mit anderen ehemaligen Volontären beim Verein Cisol Suiza die Arbeit in Ecuador und möchte vor allem durch Spendensuchen in der Schweiz mithelfen, die Projekte von Cisol zu finanzieren. 60.000 bis 70.000 CHF oder 35% des Gesamtbudgets fließen so aus der Schweiz nach Ecuador.

Schule Educare bietet seit 2000 ganzheitlichen Unterricht für Kinder und Jugendliche, die auf der Straße arbeiten. Foto: Cisol Suiza
Wie kam es zu deinem Engagement bei Cisol?
Seit meiner Jugend wollte ich unbedingt persönlich mit Straßenkindern arbeiten, deren Situation kennenlernen, während einer bestimmten Zeit vor Ort mich engagieren. Schlussendlich entschied ich mich für einen Einsatz bei Cisol in Ecuador: Als ich dann 2007 nach Loja reiste, um Englisch zu unterrichten, wurde ich gefragt, ob ich auch direkt auf der Straße mit den Kindern arbeiten könnte. Während einigen Tagen besuchte ich die verschiedenen Arbeitsorte der Kinder und merkte sofort, dass ich mit den Kinder und Jugendlichen, hauptsächlich Jungs, arbeiten möchte. Dies waren Kinder und Jugendliche, welche tagtäglich, meist 7 Tage pro Woche, im Zentralpark Schuhe putzten, um Geld zu verdienen.
Zunächst ging es darum, den Draht zu den Kindern und Jugendlichen zu finden – vor allem durch verschiedene Spiele, aber auch Aktivitäten wie Armbändchen knüpfen. Manchmal haben wir tagelang Armbändchen geknüpft und ich konnte ihr Vertrauen immer mehr gewinnen. Häufig organisierte ich mit anderen Volontären Fußballspiele – so konnten die Jungs auch mal für ein paar Stunden ihr Arbeit und Verantwortung vergessen. Da viele von ihnen aus Geld- wie auch Zeitgründen entweder die Schule abgebrochen hatten oder nahe daran waren, dies zu tun, begann ich mit ihnen über den Schulbesuch zu sprechen. Unterstützt durch Cisol fanden viele Gespräche statt – wir konnten einige wieder für den Schulbesuch begeistern.
Nach meinem ersten Einsatz 2007 reiste ich jährlich bis 2010 in meinen Semesterferien nach Ecuador, um wieder mit den Kindern und Jugendlichen im Zentralpark zu arbeiten und sie für den weiteren Schulbesuch zu animieren. Heute besuchen einige der Jugendlichen, welche ich bereits 2007 betreute, die Universität.

Armbändchen knüpfen: Dabei entstanden viele Gespräche mit den Kindern. Foto: Cisol Suiza
Und jetzt arbeitest du für Cisol Suiza, wie das?
Während einer meiner ersten Einsätze in Ecuador lernte ich den Gründer von Cisol Suiza, Hansruedi Bachmann, kennen. Zurück in der Schweiz lud er mich zu einer Vorstandssitzung von Cisol Suiza ein.
Die Geschichten der Kinder sind hart. Armut, Kinderarbeit, Gewalt, Missbrauch, Schulabbruch, Perspektivlosigkeit, teilweise Drogen, usw. Ich habe Kinder kennengelernt, die vielleicht 10 Jahre alt waren, aber den harten geplagten Gesichtsausdruck eines Erwachsenen trugen. Ich sah, dass die Tätigkeit von Cisol Leben verändert, den Kindern und Jugendlichen neue Perspektiven gibt. Für mich war nach meinem ersten Einsatz in Ecuador klar, dass ich danach nicht einfach nur meinem eigenen Leben nachgehen konnte – ich wollte mithelfen, den Kindern und Jugendlichen, neue Möglichkeiten zu geben. Zumal es mich immer stark belastete, „in der Schweiz zu sitzen“ und nichts für die Kinder und Jugendlichen in Ecuador tun zu können.
2011 gründete ich mit meinem Partner eine eigene kleine Familie – unser Sohn wurde geboren. Seither war es mir nicht möglich, nach Ecuador zu reisen. Umso mehr versuche ich, mich für Cisol Suiza zu engagieren und so aus der Schweiz eine Unterstützung zu sein. Mit vielen Kindern, welche ich bei meinen Einsätzen in Ecuador kennenlernte, habe ich noch heute Kontakt – per E-Mail und teilweise sogar über Facebook.
Hast du ein Projekt, auf das du besonders stolz bist?
Ein Lieblingsprojekt habe ich nicht. Jedes einzelne Projekt ist notwendig, um die Kinder und Jugendlichen darin zu unterstützen, einen anderen Weg – aus der Armut und Perspektivlosigkeit – zu finden. Dabei darf man nicht vergessen, dass Cisol (unterstützt durch Cisol Suiza), den Kindern „nur“ eine Türe in ein anderes Leben anbietet – der Wille, die Arbeit und die Kraft dies auch zu tun kommt von den Kindern und Jugendlichen selber; und dies unter unheimlich schwierigen Verhältnissen.

Viele Momente und Begegnungen sind tagtäglich präsent. Foto: Cisol Suiza
Gibt es eine Begegnung, die dir nicht aus dem Kopf geht und die dich vielleicht besonders motiviert?
Da gibt es viele – Begegnungen, Momente und Erinnerungen, welche mir in bestimmten Situationen wieder in den Sinn kommen. Vor kurzen schrieb mir ein Junge am Schluss eines E-Mails: „Eine große Umarmung auch für meinen Bruder“. Ich überlegte und da erinnerte ich mich daran, wie er 2007 mit mir auf einer Bank im Zentralpark saß und mich fragte, was die Kinder und Jugendlichen mir denn bedeuten. Ich, damals auch erst 21 Jahre alt, sagte ihm, dass die Kleinen wie Söhne für mich sind und die Älteren wie Brüder. Er war damals klein und so hat er dies nicht vergessen – er nennt meinen Sohn nun seinen Bruder.
Anderes ist mir täglich präsent. Wenn ich morgens aus dem Haus gehe und durch die Stadt laufe, erinnern mich bestimmte Gerüche und Geräusche daran, wie ich jeweils am Morgen zu den Kindern in den Park spazierte und daran, dass wir bei Regen unter Bäume flüchteten, um dort weiter UNO zu spielen, Bändchen zu knüpfen oder Gespräche zu führen.
Was ist deiner Meinung nach wichtig, damit eine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Ecuador erfolgreich ist – was ist der größte Bedarf derzeit?
Projekte müssen auf die Situation der Kinder und die Projekte aufeinander abgestimmt sein. Die Situation von jedem Kind ist anders und jedes Kind hat andere Probleme. Cisol bietet den Kindern eine gewisse Rundumbetreuung. Probleme werden angepackt.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist die Zusammenarbeit mit den Familien oder Erziehungsverantwortlichen. Es wird mit ihnen über die Wichtigkeit des Schulbesuchs, aber auch Themen wie häusliche Gewalt gesprochen.
Außerdem ist Cisol ein geschützter Ort, wo die Kinder und Jugendlichen sehr viel Liebe, Respekt, ein zuhörendes Ohr erfahren. Ein Ort, wo sie Kind sein können, Lob und Aufmunterung erhalten. Ich glaube, dass dies ein sehr wichtiger Bestandteil ist, damit die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen erfolgreich ist. Sie brauchen Personen, welche ihnen Liebe und Wärme zeigen, sie aufmuntern und stolz auf sie sind.

Erfrischung nach dem Fußballspiel. Foto: Cisol
Was würdest du Reisenden vor einem Besuch nach Ecuador mit auf den Weg geben?
Straßenkinder und -jugendliche werden meist ohne Respekt behandelt. Nicht selten werden sie öffentlich beschimpft oder als kriminell eingestuft. Geht auf die Kinder zu! Setzt euch einfach mal irgendwo auf eine Bank, wartet bis ein Kind euch anspricht. Dafür müsst ihr ihnen nicht extra etwas abkaufen oder die Schuhe putzen lassen. Fragt sie nach dem Namen und wie es ihnen geht. Seid freundlich und herzlich. Erzählt woher ihr kommt. Einige Kinder werden vielleicht davongehen, andere werden gespannt sein, was ihr zu erzählen habt. Und bevor ihr geht, macht ihnen ein Kompliment oder wünscht ihnen alles Gute. Ihr werdet damit den Kindern nicht nur den Tag etwas verschönern – ich bin mir sicher, dass die Kinder diese Begegnung nie vergessen werden.
Danke fürs Gespräch, Tamara!
Wer sich für Cisol Suiza und die Kinder und Jugendlichen in Ecuador einsetzen möchte, kann bei Cisol Suiza spenden. Es gibt auch die Möglichkeit, Mitglied von Cisol Suiza zu werden und uns jährlich mit dem Mitgliederbeitrag zu unterstützen. Man kann auch selbst aktiv werden, und z.B. einen Event planen oder an einer Geburtstagsfeier sammeln.
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