Gastbeitrag: Im deutschen Polizeibus zum Bosporus
Ein bisschen mulmig war mir schon. Gleichzeitig ärgerte ich mich über mich selbst, dass ich negativen Gedanken so kurz vor meiner lang ersehnten Reise Raum gebe: 30 Tage, 10 Länder, 1 Auto. Ein alter, deutscher Polizeibus, den ich extra zu diesem Zweck auf Ebay ersteigert habe. Doch gerade der war nur Auslöser von den wildesten Befürchtungen geworden.
Als ich auf Couchsurfing über meine Reisepläne für unser finales Reiseziel Türkei schrieb, prasselte eine Flut an Emails auf mich ein. Grundtenor: Reise nie, aber auch wirklich niemals, mit einem deutschen Polizeibus in die Türkei. Gerade die Konflikte mit Syrien könnten Misstrauen und Aggressionen gegenüber ausländischen Polizeifahrzeugen schüren, schrieb jemand. Andere erwähnten die PKK. Sogar eine Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft in Ankara kontaktierte mich und warnte eindrücklich vor allen möglichen Gefahren und berichtete von immer populärer werdenden Methoden, Betäubungsgase durch kleine Löcher ins Auto zu sprühen um Touristen auszurauben oder gar zu entführen. Dazu kamen all die schockierten Gesichter von Freunden und Verwandten, als ich die restlichen Reiseziele erwähnte: Albanien? Wieso zum Teufel denn dorthin? (Übrigens auch die Frage, die uns später der griechische Grenzpolizist stellen sollte). Ganz zu schweigen von Hinweisen auf Seiten des auswärtigen Amtes über die katastrophalen Zustände der albanischen Straßen, über Gefängnisstrafen bei Geschwindigkeitsübertretungen in Serbien oder brennende deutsche Flaggen in Griechenland.
Ein bisschen mulmig war mir also schon, als ich gemeinsam mit meinem Freund aufbrach. Als wir uns ein paar Stunden später in Patsch im idyllischen Österreich auf einem einsamen Berg verirrten, spielte ich sogar kurz mit dem Gedanken, dort für 4 Wochen zu parken und Kühe und Berggipfel zu zählen. Dann jedoch schlug der Reiz des Unbekannten die ansonsten nicht zu verleugnenden Reize österreichischer Bergidyllen: Albanien, das ärmste Land Europas. Griechenland mit Traumstränden und Schuldenbergen. Türkei, das Tor nach Asien. Und alles, was sonst noch kommen sollte – festgelegt hatten wir unsere Reiseziele nicht. Während mich alle naiv scholten, warf ich mir eher Ängstlichkeit vor. In den letzten Jahren hatte ich schließlich über 100 CouchsurferInnen aus allen Teilen der Welt beherbergt, die wesentlich abenteuerliche Reisen auf sich genommen hatten: Weltreisen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder per Anhalter. Gleichzeitig hat mich das Couchsurfen gelehrt dass die viel diskutierten kulturellen Unterschiede meinen Erfahrungen zufolge wesentlich kleiner sind als man denkt. In langen Küchengesprächen mit meinen Gästen – aus Europa, Asien, Amerika oder Australien – ging es immer um die gleichen Themen, ähnliche Träume und Probleme, Leidenschaften und Abneigungen, Ziele und Lebensentwürfe.
Am Ende lösten sich alle Bedenken in Luft auf. Es wurden es ca. 8000 km durch insgesamt 10 Länder. Wir schliefen im Bus, auf Couches, in Betten, an Deck eines Schiffes und - leider nur fast – in einer Höhle in Kappadokien. Hier hatten wir Sam und Elif gefunden, Couchsurfer-Hosts, die eine der Höhlen in der märchenhaft anmutenden Landschaften bewohnen. Die beiden waren zwar gerade selbst auf Reisen, boten jedoch sofort an, dass wir in ihrer Höhle nächtigen dürften. Eine alte Felsenkirche dient ihnen als Wohnzimmer, die Spitze der Felsen bezeichnen sie als ihre “Panorama-Terrasse” mit Blick über das ganze “Red Valley”. Eine Unterkunft ganz nach unserem Geschmack also, leider vereitelte ein heimtückischer Sturm mit schweren Gewittern unseren Plan.
Doch auch ohne Höhlenerfahrung war die Reise eine Fundgrube für schöne Erlebnisse und bleibende Eindrücke: Traumhafte Landschaften und einsame Strände im touristisch kaum berührten Albanien, das mit ca. 230 € monatlich nicht nur das niedrigste Durchschnittseinkommen Europas, sondern auch die höchste Mercedes-Dichte und die freundlichsten, herzlichsten Menschen zu bieten hat. Wir waren überwältigt von der albanischen Gastfreundschaft, von Kindern, die uns auf der Straße grüßten und zuwinkten und ihre Englischkenntnisse an uns testen wollten, von uneigennütziger Freundlichkeit trotz Sprachbarrieren auch in der älteren Bevölkerung bis hin zu geschenkten Artikeln im Supermarkt.
Wir sahen die Klosteranlagen von Meteora in Griechenland auf unwirklich anmutenden, hoch aufragenden Felsen, die Ruinen von Butrint in Albanien, die Kalksinterterrassen von Pamukkale, Kappadokien von oben aus einem Ballon, grüne Landschaften in Mazedonien und das klare Wasser des Ohrid-Sees, durchgeknallte Autofahrer in Istanbul, unberührte Flecken Erde, kleine Dörfer und viele Wohnungen von innen. Wir besuchten neue und “alte” Couchsurfer, die wir bereits in München gehostet hatten, bekamen Unmengen an gutem Essen serviert und noch mehr Geschichten. Wie zum Beispiel die von Anna & Kostas, die sich über Couchsurfing kennenlernten, als Anna in Zitsa, einem 500-Seelendorf in den Weinbergen in Griechenland, bei Kostas zu Gast war. Einige Monate später gab sie ihren Beruf als Anwältin in New York auf, um mit Kostas die Bäckerei des Dorfes zu betreiben, ihn zu heiraten und ihr Glück zu finden.
Wir lernten überhaupt viele Leute kennen – Fabian & Reyhaneh aus München, die wir in Albanien trafen und einige hundert Kilometer durch Albanien bis nach Griechenland in unserem Bus mitnahmen. Lukas aus Bad Reichenhall, 19 Jahre, der sich eine 4-5jährige Auszeit vor dem Studium nehmen möchte und nun zu Fuß sowie per Anhalter nach Indien unterwegs ist. Ally aus Österreich, 72, mittlerweile wohnhaft in Schweden trafen wir, als sie Aquarelle einer Karawanserei an der Seidenstraße malte, und auch sie fand einen Platz in unserem Bus, wofür wir im Gegenzug eine Einladung nach Schweden erhielten. Und Samuel aus Italien, der uns von der Erleuchtung erzählte, die ihn eines Tages aus dem Universum überfiel und nun dafür sorgt, dass er die Chakren der Menschen sehen könne. Er lebt auf einem Selbstversorger-Hof im Burgenland, dessen Bewohner eine “Free-Energy-Machine” zu entwickeln versuchen und befand sich auf dem Weg nach Südafrika. Der syrischen Grenze, die er überqueren wollte, konnten wir ihn allerdings nur wenige Kilometer näher bringen.
Und wie war es nun eigentlich mit dem Polizeibus? Wesentlich unspektakulärer als befürchtet. Die Aufmerksamkeit, die man mit einem (deutschen) Polizeibus erregt, nimmt nach Österreich spürbar ab. Leider auch die damit verbundenen Vorteile: Während auf Deutschlands Autobahnen sogar die sonst hartnäckigen Mittelspurschleicher den Weg frei räumen, steigt spätestens ab Italien wieder der Stressfaktor. In der Türkei und den ehemals jugoslawischen Ländern erhöhen sich dafür gleichzeitig das Abenteuer und die Möglichkeiten, die Autobahn kreativer zu nutzen. Hier kann man z.B. einen Teppich auspacken und beten, Schafherden spazieren führen oder mit Eselskarren in die entgegen gesetzte Richtung fahren, rückwärts lenken oder seinen Lastwagen anzünden. Der Spaßfaktor des Polizeibusses dagegen war am Höchsten an den Grenzen. Vor allem bei der Überfahrt von Kroatien nach Slowenien, als die sich vor Lachen biegenden slowenischen Polizeibeamten nicht einmal mehr die Fahrzeugpapiere sehen wollten, sondern nur abwinkten und zwischen Lachkrämpfen ein “Ok, Kollega” herausbrachten und uns weiterfahren ließen. Nach 30 Tagen, 10 Ländern und 8000 km erreichten wir also wieder unseren Ausgangspunkt München. Vor uns: der drohende Winter und der graue Alltag. Ein bisschen mulmig ist mir schon.
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Fotos: Jessy Schmitt und Bernd Hegewisch
