Gastbeitrag: Feuerland! Ein legendäres Silvester am Ende der Welt

Ich erreichte Feuerland kurz vor Silvester. Um den Neujahrsauftakt in Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt zu feiern, hatte ich mir ein Hostel mit Partyruf herausgesucht, obwohl ich sonst eher ruhige Unterkünfte buche. Großartiger Blick auf den Hafen und über die Magellanstraße, alles versprach, grandios zu werden.

Die hosteleigene Silvesterparty startete dann argentinientypisch mit ca. 4 Stunden Verspätung am Abend im kleinen Hinterhof, in dem sich die mittlerweile ausgehungerten Mitbewohner auf das großspurig angekündigte “Riesenbuffet mit Beef und Salatbar” stürzten, um einen kümmerlichen Burger zu ergattern. Während der Abend sich schleppend dahinzog, weil mir der Smalltalk nicht so richtig gelingen wollte, wurde die Musik von partywilden Argentiniern vom Led Zeppelin Mix zu den neuesten argentinischen Mitsing-Schlagern gewechselt – meine Laune sank.

Ende der Welt

22.10 Uhr: Ich schwöre mir, Silvester nie wieder ohne Freunde zu verbringen.
22.30 Uhr: Ich beschließe, mich zu betrinken.
22.50 Uhr: Das Bier ist alle.
23.05 Uhr: Ich werde wehmütig.
23.15 Uhr: Ich versuche mich an einer Partie Billard.
23.30 Uhr: Ich schöpfe Hoffnung, die nächste halbe Stunde zu überstehen.
23.45 Uhr: Ich wehre den immerhin dritten betrunkenen Argentinier ab, der sich wohl meiner erbarmen will.
23.55 Uhr: Meine Laune steigt ins überraschend Neurotische, ich bewaffne mich mit Kamera vor dem großen Panoramafenster.
23.57 Uhr: Zwei Nordamerikaner beziehen neben mir Stellung, um das beste Foto vom Feuerwerk ergattern.
23.58 Uhr: Die ersten Besoffenen fangen an, herunterzuzählen.
23.59 Uhr: Die Argentinier drehen die Mucke doppelt so laut.
0 Uhr: Um mich herum fallen sich alle in die Arme. Ich starre mit den Amis durch die Fenster. Nichts passiert.
0.01: Ein paar Leute gesellen sich zu uns, jetzt starren wir zu sechst durch die Scheibe.
0.02: Irgendjemand fällt mir um den Hals und wünscht mir Happy New Year.
0.03: Da! Eine große, rote Signalleuchte wird über dem Hafen abgefeuert. “And off we go!”, tönt es von meiner rechten Seite. Ich warte auf den besseren Schuss.
0.08: Die anderen feiern. Ich bin die einzige, die immer noch am Fenster steht und hofft, die Argentinier hätten nur ein beschissenes Zeitmanagement.
0.10: Wie kann das sein?!
Ich bin am verfluchten ENDE DER WELT, ich bin in die SÜDLICHSTE STADT DER WELT gefahren und es gibt NICHT EIN VERF****** FEUERWERK? Nichtmal ein ganz ganz Kleines?
Um 0.25 Uhr gehe ich ins Bett. Dann ergattere ich wenigstens noch eine der Warmwasserduschen morgen früh, denke ich.

Es sind sicher nicht diese Momente, weshalb ich reise. Aber es sind die Momente, die Glück und Dankbarkeit an die richtige Stelle setzen: Die gute Momente in den Himmel rücken und den Halt unter den Füßen nicht verlieren lassen. Anders gesagt:Beschissene Momente erden und machen gute Momente besser. Perfekt eigentlich.

30 Stunden später stand ich übrigens genau vor erwähnter Panorama-Scheibe und sah das Schiff in den Hafen einlaufen, mit dem ich ein paar Stunden später in die Antarktis fahren würde. Ich habe vor Glück geheult wie ein Kleinkind. Tatsächlich ärgert mich nur noch, dass ich damals von der roten Signalleuchte über Ushuaias Hafen kein Foto gemacht habe. Die ist nämlich bis heute für mich legendär.

Text & Bild von Inka Chall, blickgewinkelt

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