Hauptsache hoch hinauf
Wenn mein Freundeskreis auch nur in etwa der Gesamtbevölkerung entspricht, dann ist in Sachen Sport ein Trend ganz klar zu erkennen: Klettern, Bergsteigen, Wandern sind in. Getreu nach dem Motto „Hauptsache hoch hinauf“ schleudern meine Bekannten seit neuesten mit Begriffen wie „Toprope“ (Klettern mit Sicherungsseilen, die oberhalb der Route angebracht sind), „Vorstieg“ (hier hängt der Kletterer das Seil von unten in eine Zwischensicherung ein) oder „Bouldern“ (Klettern ohne Sicherung in Absprunghöhe) nur so um sich.
Einziges Ziel, das Gipfelkreuz. Foto: Doris Neubauer
Neugierig haben sie mich damit schon gemacht, muss ich gestehen – und so darf sich niemand wundern, dass ich tatsächlich „Ja“ gesagt hab, als mich eine Freundin spontan auf eine Tour des Österreichischen Alpenvereins eingeladen hat. Zu einer ganz leichten Tour, auf den Schneeberg, wohlgemerkt. Vielleicht hätte mich der Blick meines Liebsten etwas stutzig machen sollen, als ich ihm bei meinem – wirklich sehr früh morgendlichen – Aufbruch davon erzählt habe…. Vielleicht hätten mich auch die vier Mitwanderer, die voll ausstaffiert in ihrem Outfit einem Sportartikel-Katalog entschlüpft sein könnten, etwas irritieren sollen…vielleicht, aber dafür war ich wohl noch nicht wach genug.
Der Start vom Schneedörfl bei Reichenau war jedenfalls durchaus beschwingt, nachdem sich „unser“ Berg dann doch als Krummbachstein, ein 1.602 m.ü.A. Berg der Wiener Voralpen, entpuppt hat. Die erste halbe Stunde, die mir – wohlgemerkt – doch viel länger vorkam, ging gleich einmal steil bergauf. Etwas zu lange und zu steil für eine in den Bergen doch untrainierte Person wie mich. Zwischen Schwitzen und Keuchen hin und her schwankend, stelle ich dann endlich doch die alles entscheidende Frage: „Wie lange gehen wir denn heute?“ Die „leichte Wanderung“ stellte sich als 6 Stunden Tour der Schwierigkeitsstufe B2 (mittelschwer) heraus – Danke schön, liebe Freundin!
Aber mitgegangen, mitgefangen: Über den romantischen Wassersteig mit Blick in die felsigen Gräben des Schneebergs, bis zum Krummbachsattel plage ich mich mehr schlecht als recht weiter hinauf. Und stelle fest, wie sehr mich immer wieder die Aussicht überwältigt, wie schön das Herbstlaub, das sich in höheren Lagen im Schnee auflöst. Wie angenehm und klar die Luft wird – und wie leicht plötzlich alles trotz der schweren Gliedmaßen wird. Kurz vorm Erklimmen des Plateaus beginnt dann auch noch ein Latschenwald, der mit seinen Schneehäubchen einfach nur noch malerisch aussieht. Der letzte “Gupf” ist zwar noch mehr als mühsam, aber irgendwie habe ich es dann doch geschafft: Das Gipfelkreuz winkt uns heran und der versprochene Ausblick auf Rax und Schneeberg, der im winterlichen November dann leider doch in einer Nebelsuppe verschwimmt. Eine Belohnung für die Mühen gibt es dennoch: Kurz vor dem Gipfel sehe ich plötzlich einen runden Regenbogen mitten in den Bergen hängen – und fühle mich wie im Märchenland.
Über Stock und über Stein- der Blick rechtfertigt die größten Mühen. Foto: Doris Neubauer
Von da an geht es wieder ein paar Stunden bergab, entlang der Eng, einer Schlucht mit dunklen schaurigen Grotten, und einer alten Holzries, über die in vergangener Zeit die Hölzer ins Tal gebracht wurden. Über Forststraßen und Waldsteige stolpern wir – ja, es war ein Stolpern – übermüdet zum Auto. Am nächsten Tag wird mich nicht nur der Muskelkater an diesen Ausflug erinnern, irgendwie habe ich doch Lust auf mehr bekommen.
Und ich bin wohl nicht die Einzige: Der Österreichische Alpenverein, der größte Bergsportverein hierzulande, konnte alleine im letzten Jahr 15.000 Neuzugänge verzeichnen und ist so mit 360.000 Mitgliedern bei weitem der größte Sportverein Österreichs. Touren, Kurse und vieles mehr werden aber nicht nur von dieser Organisation und deren über 197 diversen, bundesweiten Sektionen angeboten. Auch die Naturfreunde Österreichs und diverse kleinere regionale Vereine sprechen Kletterer und solche, die es noch werden wollen, an. Wer selbst auf eigene Faust aktiv werden möchte, der kann sich zum Beispiel über www.actionscouts.com seine eigene Route zusammenstellen.
Woran liegt es, dass Klettern und Wandern gerade jetzt so boomt? Manche schreiben es den Krisenzeiten zu. Schließlich braucht man beim „Kraxeln“ – wie bei anderen Outdoor-Sportarten – zwar eine gute Ausrüstung, hat dabei aber nur einmalige Anschaffungskosten. Möglicherweise ist uns aber das sture „Auf-der-Stelle-laufen“ im Fitnesscenter doch mittlerweile zu langweilig geworden – etwas, was beim Klettern sicher nicht passieren kann: Dafür sorgen allein in Österreich die über 40.000 Wanderwege, 195 Klettersteige (Wege, die von einem durchgehenden Stahlseil als permanenter Sicherung und dem Einbau künstlicher Griffe und Tritte gekennzeichnet sind) und über 1000 mehr oder weniger hohe Berge. Vielleicht liegt der Kletter-Boom aber auch ganz einfach daran, dass von oben auch die größten Sorgen ganz klein aussehen? In diesem Sinne: Berg Heil!
Erstveröffentlicht auf tripwolf, 23. November 2009