Hawaii am Tag, an dem die Erde bebte
„Das gibt es doch nicht, auch diese Tankstelle ist voll?!”, Verwunderung lag in der Stimme
unseres Chauffeurs. Es war die zweite, an der wir vorbeigefahren waren und an der Autos bis
weit außerhalb der Tankstelle selbst standen. War Benzinknappheit ausgerufen worden oder
was sollte das?! Wir kamen gerade von einem der monatlichen Staff-Trips zu einem der Kona-Strände zurück in die Yoga-Community Kalani, oder besser gesagt wollten dorthin fahren, denn offensichtlich reichte die noch vorhandene Tankfüllung nicht mehr unbedingt. Die Möglichkeit zu tanken war allerdings aufgrund des hohen Fahrzeugsaufkommens für uns in weite Ferne gerückt.
„Ist bei dir alles in Ordnung? Ein Tsunami hat Hawaii getroffen!” Die SMS, die Köchin Dana
gerade von ihrem Bruder aus Kalifornien erhalten hatte, klärte einiges für uns auf: Die Leute
hier versuchten ihre leeren Autos aufzutanken. Das war in der Region Puna so üblich, um sich dann im Notfall aus der Gefahrenzone in Sicherheit bringen zu können. Soweit die Idee. In diesem Moment war aus der fröhlich herumalbernden Gruppe im Bus mit einem Mal ein verschreckter Haufen geworden: Waren wir auch in Kalani betroffen? Was hieß das für uns? Fragen, die auftauchten, durch das Fahrzeug hallten, die aber keiner beantworten konnte.
„Alles ist gut”, kam die Entwarnung von vorne, von unserem Chauffeur, der gerade mit Kalani
telefoniert hatte. Wir waren sicher! Vorbei an weiteren fünf Tankstellen, die von Menschen
überrannt wurden als stünde der Weltuntergang bevor, kamen wir, trotz geringer Tankfüllung,
in Kalani an. Tatsächlich: Alles war noch wie am Morgen, als wir die Community verlassen
hatten. Keine Anzeichen eines Sturms, eines Bebens, nichts. Beruhigt fiel ich ins Bett. Und
schlief wie ein Stein!
„Hast du denn gar nichts bemerkt?”, wurde ich am Frühstückstisch gefragt und musste
verneinen. Was denn? In der Früh hatte anscheinend das Beben noch einmal eingesetzt, und
war auch in Kalani spürbar gewesen. Ich hatte es völlig verschlafen. Das Ausmaß wurde mir
erst klar, als ich die ersten Nachrichten außerhalb der „Blase”, in der sich Kalani befand,
erhielt: „Na, den Tsunami überlebt? Habe ja schon schlimme Videos aus Japan gesehen”,
mein Freund fragte genauso wie meine Eltern und Freunde nach meinen Eindrücken von der
Flutwelle. „Entwarnung, Leute, Entwarnung“, sagte ich jedes Mal darauf. Mir war nichts
passiert. Hawaii war nichts passiert.
Jedoch stimmte das so nicht ganz: Die Kona-Seite der Insel, auf der wir noch am Vortag
gespielt und uns im Meer vergnügt hatten, hatte doch einiges abbekommen. Ein paar Strände
mussten gesperrt werden, von meinen ehemaligen Couchsurfing-Hosts Michelle und Tony
liefen Videos auf Facebook, die das so schön blanke Dorf Waikoloa mit Meterhohen Wasserfluten überschwemmt zeigten. In der Küche wurde mir vom berühmten King Kamehameha’s Kona Beach Hotel berichtet, dessen Lobby komplett vom Wasser zerstört worden war. Trotzdem: Es war harmlos. Anders als in Japan waren wir mit dem Schrecken davon gekommen – und hier in Kalani kehrten wir bald zum Alltag zurück. Oder versuchten es zumindest.
„Ja, wir haben noch immer klare Luft – angeblich kommt nichts nach Hawaii, hoffe ich
zumindest.”, schrieb ich in einer Mail an meinen besorgten Freund, der mich seit der
Katastrophe in Japan mit Videos, Statistiken, Forschungsergebnissen und ähnlichem
bombardierte. Nein, da draußen – in den USA, in Europa, in Österreich – konnten sie noch
längst nicht zum Alltag zurückkehren. Bei uns, in unserer kleinen, heilen Welt Kalani, konnte
sich keiner vorstellen, was ganz in unserer Nähe geschah.
Alles war wie immer. Das merkte ich auch, als ich meine Sportverrückte Freundin Mari einige
Tage später am 20. März zum 14. International Big Island Marathon in Hilo
begleitete: Neben ihr liefen einige Japaner durchs Ziel, wie schon in den vorherigen Jahren. Und auch wenn vielleicht der Applaus bei ihnen ein bisschen lauter wurde, eine Welle der Achtung durchs Publikum ging und einem ein bisschen der Atem stockte: Im Prinzip war alles so wie immer. Sie liefen, gegen die Katastrophe, für ihr Land und für die wenigen, die ihre Teilnahme abgesagt hatten…
Anmerkung: Von 10.3. /11. 3.2011 traf ein Tsunami auf Hawaii und vor allem die japanische Ostküste. Er überflutete nach dem schwersten Erdbeben in der Geschichte Japans weite Teile der Nordostküste. Die Wassermassen rissen fast 20.000 Menschen in den Tod. Im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi kam es zum Super-GAU; die Region um die Unglücksreaktoren musste evakuiert werden. (siehe u.a. Spiegel). Ich war zu der Zeit auf Big Island, Hawaii und habe die Katastrophe so erlebt.
Dieser Beitrag ist ein Vorgeschmack auf mein in Kürze erscheinendes Reise-Buch über meine Zeit in der Yoga-Community auf Hawaii.