Irische Bootsfahrtgeschichten
“Ladies, wie wäre es mit einer Bootsfahrt?” Gedankenverloren aufs Wasser starrend riss uns diese Frage ganz plötzlich aus unseren Träumereien heraus. Sie kam aus dem Nichts und doch wie bestellt, schließlich hatte keine Minute zuvor eine von uns gemeint: So eine Bootsfahrt, ach, das wäre jetzt genau das Richtige! Hier steht er also vor uns, unser Gedankenleser. James heißt er und braucht uns nicht lange überreden: 20 Euro für eine 30minütige Fahrt mit seinem Boot – und die Begegnung mit Robben ist im Package mit dabei.
Einen besseren Tag hätten wir uns gar nicht aussuchen können: Schon beim Aufwachen in Clonakilty im Süden von Irland hat uns die Sonne wach geküsst und bis jetzt zum frühen Nachmittag auch den düstersten Wolken stand gehalten. Regen wird heute einfach nicht zugelassen. Davon hat die grüne Insel in den letzten drei Monaten ohnehin zu viel erlebt. So viel wie nie zuvor seit Beginn der Messungen, erzählt uns James, als wir drei Mädels schon auf seinem Boot sitzen. “Lady Ellen” heißt das blau-rote Gefährt und gleitet nur zu besonderen Anlässen übers Wasser. Dann nämlich, wenn James seinen Tagesjob in Cork verlässt und in seine Heimat zurückkommt, um als Zusatzverdienst TouristInnen wie uns mitzunehmen.
“200 Meter von hier bin ich aufgewachsen”, verrät er im bemüht schönen Englisch voll Stolz, während er mit uns in der Bucht von Bantry schippert und uns seine Geschichten erzählt. Zum Beispiel von Harald Peto, einem Landschaftsgärtner und Architekten, der vor 70 Jahren exotische Pflanzen auf der Insel Garinish angebaut hat. Normalerweise lässt James seine Fahrgäste dort aussteigen, damit diese gegen einen Eintrittspreis von 4 Euro durch italienische Gärten spazieren können. Für uns macht er heute aber eine Ausnahme oder vielmehr eine Abkürzung. Das hat einen Grund, möchten wir doch noch die ganze Beara Halbinsel umkreisen, an deren Ende die einzige Seilbahn Irlands auf Dursey Island führt. Während wir Richtung Robben gleiten erzählt er uns davon genauso wie von der Landschaft, die wir auf unserem Weg sehen werden: Hungry Hill, Bear Island und Sheeps Head – ja, die Iren verstehen sich darauf, ihrem Land treffende Namen zu geben.
“Heute morgen haben wir sicher um die 100 Robben gesehen”, so James, als wir uns den Felsen mit den versprochenen Tieren nähern. Und tatsächlich, auch auf uns haben sie offenbar schon gewartet. Nicht alle 200 Seelöwen, die in der Region zuhause sind, aber doch einige. Zehn Minuten lang kreisen wir mit dem Elektroboot um die Tiere, grinsen den am Land und im Wasser tollenden Jungen zu, knipsen hier ein Baby und dort einen ausgewachsenen Robben. “Wir hatten Glück, gleich werden sie untertauchen”, übt sich unser Bootsmann und Experte wieder als Gedankenleser und Wahrsager. Wie schon zuvor hat er auch diesmal recht. Kajaks paddeln nämlich auf uns zu, und wir lernen, dass nicht die Motorengeräusche der Boote, sondern die aufwühlende Ruderbewegung die Tiere verschwinden lässt.
Und auch wir müssen uns langsam verabschieden.
Von den Robben. Vom Wasser. Von Lady Ellen. Von James. Von den Bootsfahrtgeschichten.