Durga Puja: Wie die Inder den größten Karneval der Welt feiern

“Weißt du, was Durga Puja bedeutet?”, Aaditto stellt mir diese Frage, als ich vollgefuttert wie üblich nach einer Portion indischen Essens auf der Lehmbank sitze. Er ist der Geschäftsführer des Projekts Babli Farm, das seine Eltern vor rund 24 Jahren im ländlichen Westbengalen im Dorf Dworonda gegründet haben. Kein Ressort, wie er immer wieder betont, auch wenn TouristInnen wie ich dort gern Urlaub vom sonst so hektischen, überfüllten Indien machen. Und Urlaub brauche ich dringend nach 17 Tagen des überschnellen Herumreisen, vor allem aber nach fünf Tagen im lauten Großstadtdschungel Kolkata. In der Stadt, die zu Durga Puja (* Puja = Gebet) – diesem höchsten und größten Festival der Region zu Ehren der Göttin Durga gefeiert wird – noch einmal lauter und irrer wird als sonst. Auch wenn man sich das kaum vorstellen kann.

Ruhiges, stilles Babli - Erholung von Indien. Foto: Doris

Ruhiges, stilles Babli – Erholung von Indien. Foto: Doris

Doch zurück zur Frage: Weiß ich, was Durga Puja bedeutet? Nach vier Tagen des Mitfeierns sollte das Antworten darauf wohl ein Klacks sein, oder?!

Rückblende:

“Celebrate Durga Puja in Kolkata. Greatest Carnival in the world”, so begrüßen uns vielversprechend die Plakate am Flughafen, als wir Donnerstag Abend in der Hauptstadt Westbengalens, dem Einwohner reichsten Bundesstaat Indiens ankommen. Im dicht besiedeltsten Viertel der Stadt leben 1.6 Millionen Menschen auf 20 km2 – Zahlen, die für mich aus dem 8 Millionen-Winzling Österreich einfach nicht fassbar sind.

Durga Puja ist überall: Wobei, was Bridget Jones damit zu tun hat, frage ich mich schon. Foto: Doris

Durga Puja ist überall: Wobei, was Bridget Jones damit zu tun hat, frage ich mich schon. Foto: Doris

Eine Stunde dauert die Fahrt durch die “City of Joy”, die ihrem Marketingnamen in dieser Zeit alle Ehre machen möchte: Die Stadt hat sich herausgeputzt für dieses hinduistische Festival, das nicht nur in Kolkata gefeiert wird. Hier aber ist es das religiöse und gesellschaftliche Highlight des Jahres: 365 Tage bereiten sich die zahlreichen Vereine darauf vor, zehn Tage lang der Göttin Durga zu huldigen.

Die Trommel sind immer dabei und begrüßen ohrenbetäubend. Foto: Doris

Die Trommel sind immer dabei und begrüßen ohrenbetäubend. Foto: Doris

Es ist ein Vorwärtskommen im Schritttempo, eine Hindernisfahrt mit quietschenden Reifen, abruptem Bremsen und Dauergehupe wie sie wohl nur in Indien stattfinden kann. Und auch wenn wir uns nach der Ankunft im noblen 5-Stern-Hotel Taj Bengal Hotel einfach nur nach Ruhe – und vor allem nach Essen – sehnen, ist an beides vorerst nicht zu denken. Im Hotel findet nämlich eine indische Tanzvorführung der Geschichte von Durga Puja statt: “A very unique opportunity, something you cannot miss to understand the festival”. Mit den Worten werden wir auf unsere Plätze geschubst, und schon beginnt die Show. Vorerst mit elendslangen Lobeshymnen auf die Tänzer, die Veranstalter, die wichtigen Menschen in Kolkata… und uns, die wir als Foreigners gekommen sind, um Durga Puja zu erleben.

Vorgetanzt, die Geschichte von Durga Puja. Foto: Doris

Vorgetanzt, die Geschichte von Durga Puja. Foto: Doris

Wer sich in Indien als Tourist bewegt, muss damit rechnen aufzufallen und im Mittelpunkt zu stehen: Überall warten “Paparazzi” aka Inder und freuen sich, einen Ausländer vor die Linse zu bekommen – entweder für ein Gruppenbild mit Verwandtem oder einfach so. In keinem anderen Land habe ich es erlebt, dass mir so oft zugewunken wird, dass Menschen so jubeln, einen Andersaussehenden zu erspähen. Dabei möge man glauben, es wären doch genug TouristInnen unterwegs, als dass es etwas Besonderes wäre. Doch selbst in Touri-Hotspots wie Varanasi oder auch der Sudder Street in Kolkata verschwinden wir Reisende unter der riesigen Anzahl der Inder.

 .. und überall winken dir in Indien die Menschen zu. Foto: Doris

.. und überall winken dir in Indien die Menschen zu. Foto: Doris

Das Hochlebenlassen der Touristen erleben wir auch bei Durga Puja, hier vielleicht sogar etwas mehr. Anders als Holi, Kumbh Mela oder Diwali ist dieses Festival (noch) nicht vermarktet. Geht es nach lokalen Reise-Agenturen soll sich das aber rasch ändern, schließlich ist Durga Puja etwas Großes, etwas Spezielles, kurz: Der “greatest Carnival in the world.”

Durga wird täglich geopfert. Foto. Doris

Durga wird täglich geopfert. Foto. Doris

Warum, das soll uns die indische Tanzeinlage verraten: Eineinhalb Stunden erzählen zig-Tänzerinnen und Tänzer mit Händen und Füßen die Geschichte von Durga, die von den Götterngeformt wurde, um den bösen Büffeldämon zu töten und so die Welt zu befreien. Die Bilder sehen wir in den nächsten Tagen ständig: Während Durga Puja vor einigen hundert Jahren nur in den Großfamilien gefeiert wurden, hat sich das Fest mittlerweile auch auf den öffentlichen Raum ausgeweitet. Über 2.400 Pandals, wie die temporären Altäre aus Bambusstruktur genannt werden, sind überall in den Straßen der 14-Millionen-Stadt aufgestellt, zu einigen der 800 Großen werden wir in den nächsten Tagen “gekarrt”.

Auch das Gebäue ist bloß temporär. Foto: Doris

Auch das Gebäue ist bloß temporär. Foto: Doris

Diese Durga wird nicht zerstört: Sie besteht aus einem einzigen Stück Stein, an dem 6 Monate gearbeitet wurde. Foto: Doris

Durga, Durga, und wieder Durga. Foto: Doris

Durga, Durga, und wieder Durga. Foto: Doris

Per Auto, durchgeschleust beim VIP Eingang und offiziell durch die stolzen Erbauer dieser Kunstwerke begrüßt, die sich über unser Lob und unsere ergriffenen “Aahs” und “Oohs” wohl genauso freuen wie über den Sieg beim Wettbewerb, der die Schönsten der Pandals auszeichnet. Für Lob und Anerkennung sind die Nachbarschaftsclubs das ganze Jahr am Themenfinden, Planen und Konstruieren, um beim nächsten Mal ein besonders herausragendes Kunstwerk zu schaffen. Dass dabei Millionen Rupies fließen, ist angesichts der Tatsache, dass sich über 70% der Inder unterhalb der “Armutsgrenze” von 300 Rupies im Monat bewegen, ein Schlag in die Magengrube.

Stolz werden die Preise gezeigt, die der Club in den letzten Jahren erhalten hat. Foto: Doris

Stolz werden die Preise gezeigt, die der Club in den letzten Jahren erhalten hat. Foto: Doris

Genauso wie der Brauch, die kunstvollen Bauten am letzten Tag des Festivals dem Erdboden gleich zu machen und die Durga-Statuen ins Wasser zu werfen. “Immersion” nennt sich Letzteres: Da versammelt sich alles am Ganges und übergibt die Statue unter Gebeten, feierlichen Trommelwirbel und Tanzeinlagen dem heiligen Fluss  – um die Reste davon ein paar Meter weiter wieder aus dem Ganges zu fischen. Schließlich löst sich nicht das gesamte Material von allein im Wasser auf.

Immersion. Foto: Doris

Die Durga-Statue wird nach einem Ritual dem Wasser übergeben… . Foto: Doris

 ..und ein paar Meter weiter wieder herausgefischt. Foto: Doris

..und ein paar Meter weiter wieder herausgefischt. Foto: Doris

Abtransport der Durga. Foto: Doris

Abtransport der Durga. Foto: Doris

All das erzähle ich Aaditto in Babli auf seine Frage nach der Bedeutung Durga Pujas. Zufriedenstellen kann ich ihn damit aber nicht, habe ich doch den Kern nicht erfasst: Ursprünglich zeigt Durga Puja nämlich das Ringen zwischen Männlich – Ego, dem Dämon – und Weiblich – Einssein mit der Natur, Durga – in dem durch tagelange symbolische Reinigungsprozesse das Ego schließlich los gelassen und der Natur (= dem Wasser) übergeben werden kann. “Vermutlich wissen das aber viele Inder auch nicht mehr”, tröstet mich Aaditto, “für die meisten ist es einfach eine Gelegenheit, neue Kleider auszuführen, sich zu zeigen, zu tanzen und zu feiern.”

Geht es bei Durga Puja also doch nicht nur ums Feiern, ums Schön-Aussehen, ums Tanzen ... Foto: Doris

Zur Durga Puja werden die neuesten Kleidungsstücke zum ersten Mal ausgeführt, man zeigt, was man (zum Feiern) hat. Foto: Doris

“Du kannst nur unter Drogen tanzen”, hat mir Parnika schon jegliche Illusion von der religiösen Herrlichkeit genommen, als sie mir von den üblichen Ritualen bei der Immersion erzählt hat. Die gebürtige Inderin habe ich einen Tag nach Festivalende in den Mangrovenwäldern Sunderbarns getroffen. Sie hat ihre österreichischen (!) Freunde Nicole, Johannes und den Franzosen Stéphane mit in ihre Heimat genommen, um gemeinsam mit der Großfamilie Durga Puja zu feiern. Und auch Nicole sprach bloß vom Essen, vom ungewöhnlichen Gefühl, einen Sari zu tragen, vom Trinken und Tanzen – und davon, als Ausländer fast schon wie die Göttin Durga selbst behandelt zu werden. Von der symbolischen Reinigung haben auch sie, die auf dem Land bei Kolkata eine traditionelle “Hauspuja” gefeiert haben, scheinbar nichts mitbekommen.

In Sachen Drogen und Tanzen muss ich aber widersprechen. Das klappt auch einfach so auf Drängen der Inder :) Ich habs erlebt. Foto: Florian Blümmm

In Sachen Drogen und Tanzen muss ich aber widersprechen. Das klappt auch einfach so auf Drängen der Inder :) Ich habs erlebt. Foto: Florian Blümmm

Was das alles mit Karneval zu tun hat, fragt Ihr Euch?! Ich habe das in Sunderbarns auch gefragt, als ich mit Mrs. Chatti, einer Inderin aus der gehobenen Mittelschicht von Bangalore, beim Essen saß. “Ich glaube, man hat einfach ein Wort genommen, das gut klingt”, war ihre nüchterne Antwort, “was Karneval bedeutet, das wissen viele Inder gar nicht.” Irgendwie glaube ich ihr das sogar…

Ganz anders als das tobende Kolkata: Die Mangrovenwälder. Foto: Doris

Ganz anders als das tobende Kolkata: Die Mangrovenwälder. Foto: Doris

Abends, auf dem Rückweg von den Mangrovenwäldern nach Kolkata fahren wir auch durch einige Dörfer, wo noch immer lautstarke Feste im Gang sind. Durga Puja dauert auf dem Land noch ein oder zwei Tage länger als in der Stadt – “und nachdem in diesem Jahr das Wetter so schlecht war, wird vermutlich noch etwas länger gefeiert”, erklärt mir unser Guide AJ von Sundabarn Tours die pragmatische Herangehensweise. Und da erkenne ich dann doch tatsächlich eine Gemeinsamkeit mit Karneval – zumindest mit dem in Südamerika: Der dauert in den indigenen Dörfern Boliviens zum Beispiel nämlich auch immer etwas länger als in den Städten…

Offenlegung: Ich war 14 Tage mit Shanti Travel auf Blogtrip. Herzlichen Dank für die Einladung. Die Meinungen und Ansichten in der Geschichte bleiben meine eigenen.

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