Karneval in Oruro: Es muss nicht immer Rio sein…
“Na warte, dir zeig ichs!” Anne – sonst die Ruhe in Person – springt von ihrem Sitz hoch und zückt in Sekundenschnelle die Sprühflasche. Innerhalb von kürzester Zeit ist ihr Gegner, ein zirka 3jähriger Bolivianer, von oben bis unten mit weißem Schaum bedeckt. Aber Anne sieht auch nicht besser aus: Ihre Schutzmaske ist triefend nass, von ihrer Regenjacke tropft es. So kommt sie prustend, doch sichtlich zufrieden zu uns zurück. “Der wird nie wieder eine Gringa anspritzen”, sagt sie noch bevor schon der nächste Schwall weißen Schaums auf uns einprasselt.
Schöne Mädchen und Frauen in atemberaubend geschmückter Kleidung tanzen auch in Oruro durch den Karneval. Foto: Doris Neubauer
Für die Belgierin Anne ist es genauso gewöhnungsbedürftig wie für mich als Österreicherin, wie die SüdamerikanerInnenKarneval feiern. Der ganze Kontinent feiert die verrückten Tage nicht nur mit den bekannten bunten Umzügen, sondern vor allem mit viel, viel Wasser und Schaum. Besonders – blonde – TouristInnen wie wir sind da natürlich ein gefundenes Fressen, wenn wir nichtsahnend einen Sitz auf der Tribüne einnehmen möchten, um das Karnevalstreiben zu beobachten. Trocken gelangt fast keine(r) von uns irgendwohin. Aber auch den BolivianerInnen selbst geht es nicht anders: Auch sie bekommen beim “Carnaval in Oruro 2012″, bei einer der größten Faschings-Festivitäten Südamerikas, ihr Fett weg.Einmal im Jahr geht es in Oruro so richtig rund: Da steigen die Zimmerpreise in den Hostels und Hotels ins Unermessliche, strömen unzählige einheimische und ausländische TouristInnen herbei, wird die Hauptstraße zur Bühne, da gibt es keinen Schlaf! Oruro? Nie davon gehört! Da geht es Euch genauso wie mir: Rio de Janeiro, ja, aber eine kleine, eher unscheinbare Stadt in Bolivien soll auch für Karneval bekannt sein? Wer zu der Zeit durch Südamerika reist, der bekommt dafür laufend die Bestätigung. Und nachdem ich schon einmal in der Nähe war, musste ich gemeinsam mit meinen Freunden Anne, Dave, Megan und dem britischen Paar Claire und Sam das Treiben, das 2001 von der UNESCO in die Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen wurde, natürlich live miterleben.
Über 50 verschiedenen Teams sind in Oruro im Einsatz – jeweils 4 Stunden in 2 Tagen. Foto: Doris Neubauer
Und Oruro bietet alles, was man aus dem Fernsehen von Rio so kennt: Außergewöhnliche schöne Mädchen und Frauen in bunt geschmückten – mal mehr, mal weniger kurzen - Gewändern; schreiende Männergruppen mit riesigen Schulterpolstern; lautstark spielende Musiker; die abscheulichsten Teufelsmasken und dazwischen süße, wenn auch müde Kinder – vier Stunden in fünf Teams unterteilt treten um die 48 Cojuntos (Bands) auf, die 18 verschiedene Tänze aufführen. Zwei Tage lang, nämlich Samstag und Sonntag vor Aschermittwoch, von 7.30 morgens bis 4.00 früh geht das Spektakel, zu dem um ZuschauerInnen aus der ganzen Welt kommen.
Was wäre ein Karneval in Südamerika ohne die Schaumparties und Wasserschlachten? Foto: Doris Neubauer
Offizieller Beginn des Karnevals in Oruro ist jedoch der Umzug der indigenen Gruppen am Gründonnerstag, die sogenannte “La Anata Andina”. Mit Fasching hat das weniger zu tun, es ähnelt eher Erntedankprozession: Lautstark mit Musik und Gesang sagen sie der Mutter Erde (Pachamama) und den Achachilas (Göttern, die für Wind, Regen, Eis etc. zuständig sind) Danke für die Ernte des letzten Jahres und bittet erneut um eine gute Ernte für das kommende Jahr. Nach dieser Einstimmung ist der Freitag eher gemütlich: Abends sorgen auf den Straßen Folklore-Bands für Stimmung und die BesucherInnen plündern noch einmal die Straßenstände plündern, um neben Masken, Regencapes und dem einen oder anderen Lama-Fötus noch anderes “Brauchbares” für die nächsten Tage einzukaufen. Der eigentliche Karneval beginnt am Faschingssamstag.
Unsere muntere Truppe – noch vor Schaum-Anschlägen, Feuerwerk und Wasserbomben. Foto: Doris Neubauer
Anders als der Karneval in Rio oder Venedig ist der bolivianische Bruder vor allem ein religiöses Fest, das die Unterwerfung der Indios unter den katholischen Glauben zeigt – so die Idee, und angeblich verstehen sich die Conjuntos bis heute als religiöse TänzerInnen. Besonders am Samstag wird die Darbietung explizit für die Jungfrau der Bergwerkstollen gebracht. Bekannt ist vor allem die Baile Diablada, ein Tanz, der als Erfüllung eines Gelübdes der Jungfrau gegenüber angesehen wird. Ob die gröhlenden und johlenden Zuschauer, die mehr mit den Schaumkriegen beschäftigt sind, etwas von der religösen Bedeutung mitbekommen, wage ich zu bezweifeln. Und auch die BierverkäuferInnen – vermutlich stärkste Umsatzgruppe neben den Sprühdosen – können sich über mangelnden Umsatz nicht beklagen – auch bei den TänzerInnen nicht: Ist am Samstag offiziell zwar Trinkverbot bei den DarstellerInnen angesagt, sieht man im Laufe des Tages immer mehr eher wackeln als tanzen, und die Bierdosen werden mit der Zeit weniger dezent versteckt.
Jede neue Conjunta wird mit einem Auto eingeleitet, auf dem symbolisch Opfergaben für die Jungfrau dargebracht werden.Foto: Doris Neubauer
Bis vier Uhr früh geht das rauschende Fest – ein Glück für die TänzerInnen, dass der Regen erst um 5.00 früh einsetzt und sie sich zumindest am ersten Tag trotz Regenzeit an Sonne erfreuen können. Weniger Glück haben sie dann am zweiten Tag: Der Sonntag ist dem Dios Momo, dem Gott des Spaßes gewidmet. Jetzt können auch die Conjuntas ohne schlechtes Gewissen das eine oder andere Bier zu sich nehmen. Und von dieser Freiheit machen sie Gebrauch, genauso wie die Zuschauer, die schon um 10.00 lallen und ihre leeren Bierdosen unter die Tribüne werfen. Hat am ersten Tag die Polizei und das Militär das Chaos noch etwas unter Kontrolle gehabt, ist es jetzt damit vorbei: Immer mehr Zuschauer strömen auf die Straße, wo eigentlich die TänzerInnen ihre Darbietung bringen sollen, die Pausen zwischen den Bands werden länger und für Schaum-Schlachten benutzt. Und dann beginnt es um 15.30 auch noch zu regnen – ein Zeichen, dass der Karneval zu Ende ist – zumindest für mich und meine Freunde.
Nicht nur Bier und Sprüh-Schaum werden verkauft, auch Kinder kommen in Oruro auf ihre Kosten. Foto: Doris Neubauer
Die BolivianerInnen und eingefleischte Karneval-Fans sehen das Spektakel bis zum Ende, das wieder um 4.00 früh beim Platz vor der Kirche sein Ende findet: Alle Gruppen treffen sich zum Saludo al Sol, der el Alba und beginnen gleichzeitig mit der aufgehenden Sonne die Melodie ihrer Tanzgruppe zu spielen. Das werde ich wohl genauso wenig miterleben wie die Parade am Rosenmontag, wo sich die Conjuntos vor dem Platz an der Kirche treffen und sich tanzenderweise in der Kirche von der Jungfrau verabschieden.
Apropos Abschied: Für mich heißt es morgen weiter, es wartet die höchste Stadt ihrer Größe auf mich, Potosí und ihre Minen… aber das ist eine andere Geschichte.
Mehr zum Karneval in Oruro: http://www.orurocarnaval.com/orurocarnaval1/
Erstveröffentlicht auf tripwolf am 21. Februar 2012